von Thilo » Mo 15. Apr 2019, 09:36
Hallo in die Runde,
diesen Beitrag schrieb ich bereits vor Jahren:
Mir persönlich erschließt sich in vielen Fällen nicht das starke Begehren, gerade von jungen CED-Betroffenen, nach einem Schwerbehindertenausweis. Für unsere Erkrankung wird als Vorteil meist Kündigungsschutz, Zusatzurlaub, Parkerleichterung und ein steuerlicher Aspekt ins Feld geführt. Das mag im Einzelfall zutreffen. Wo aber liegen die Nachteile ? Alles hat bekanntlich zwei Seiten.
In regelmäßigen Abständen steht dieses Thema immer wieder in der Diskussion. Aus diesem Grund und in der Erwartung, dass es nicht immer wieder Gegenstand von Debatten wird, die unsere Kraft und Zeit verschwenden, möchte ich noch einmal einige grundlegende Gedanken zu den Nachteilen aufschreiben:
Wo liegen eigentlich die Nachteile einer anerkannten Schwerbehinderung ?
1. Neid der Mitmenschen
Bei uns CED-Betroffenen ist meist keine Behinderung sichtbar. Hierdurch reagieren Mitmenschen oft verständnislos oder neidisch, sobald ein/e Schwerbehinderte/r Sonderrechte beansprucht.
2. Vorteile im Beruf ?
Der Gesetzgeber stellt sich vor, dass die Schwerbehinderteneigenschaft - einmal abgesehen von den gesundheitlichen Einschränkungen - keine Nachteile mit sich bringen darf. Das ist die Theorie.
In der Praxis, d. h. im täglichen Leben ist dies aber leider nicht immer so. Vor allem wer eine Arbeit sucht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass private Arbeitgeber wegen des Kündigungsschutzes, besser gesagt wegen dem Verwaltungsaufwand schwerbehinderten Menschen zu kündigen, in der Mehrzahl der Fälle schwerbehinderte Menschen nicht einstellen.
Arbeitgeber dürfen einen Stellenbewerber nicht grundlos fragen, ob er schwerbehindert ist. Wenn trotzdem gefragt wird, müssen Sie nicht angeben, dass Sie schwerbehindert sind. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Behinderung dazu führt, dass der schwerbehinderte Mensch die angebotene Arbeit gar nicht ausführen kann.
Bedenken muss man allerdings, dass auch dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung irgendwann mitgeteilt werden muss, sobald man Nachteilsausgleiche beansprucht, insbesondere den zusätzlichen Urlaub oder Freistellung von Mehrarbeit.
Häufig wird das Argument vorgebracht, dass man eine Schwerbehinderteneigenschaft nach dem neuen Gleichbehandlungsgesetz nicht mehr offenbaren müsse. Die Frage sei erlaubt: Warum strebt man einen Schwerbehinderten-Ausweis an, wenn man die damit verbundenen Nachteilsausgleiche durch dessen Vorlage nicht in Anspruch nehmen will ?
Gerade junge CED-Erkrankte, die Arbeit suchen oder am Anfang des Berufslebens stehen, können also durch die Schwerbehinderung erhebliche Nachteile haben, sofern sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihren Status offenbaren.
3. Gibt es wirklich echten Kündigungsschutz ?
Der erhöhte Kündigungsschutz bringt eben erst dann etwas, wenn man bereits einen Arbeitsplatz inne hat.
Anders ist es bei Menschen, die sich beruflich nicht mehr verändern wollen oder denen eine Kündigung droht. Diese können versuchen, durch die Schwerbehinderung ihren Kündigungsschutz auszubauen. Tatsache ist aber auch, dass die Integrationsämter meist einem Kündigungsbegehren eines Arbeitgebers zustimmen. Der „unkündbare Schwerbehinderte“ entpuppt sich so als „Fata Morgana“; man sieht etwas, aber es existiert in Wirklichkeit nicht.
Nur Beamte auf Lebenszeit brauchen keine Nachteile zu fürchten und können sich über den Zusatzurlaub und die Steuerersparnis freuen.
4. Auswirkung auf die eigene Psyche ?
Nicht außer Acht lassen sollte man, daß der Schwerbehindertenausweis durchaus zu Minderwertigkeitskomplexen und/oder Persönlichkeitsproblemen führen kann – vor allem dann, wenn man trotz der Erkrankung noch voll leistungsfähig ist. Die überwiegende Zahl der CED-Betroffenen kann einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und steht im Berufsleben den Mitkonkurrenten in nichts nach.
So traurig es ist: Im Alltags- und Berufsleben werden Schwerbehinderte oft als Menschen zweiter Klasse angesehen und ausgegrenzt.
5. Kann man einen Schwerbehindertenausweises einfach zurückgeben, wenn man erkennt, dass dieser eher hinderlich als förderlich ist ?
Den Ausweis kann man zwar zurückgeben, aber auf eine festgestellte Schwerbehinderung kann man nicht durch einfache Rückgabe des Ausweises verzichten. Die entsprechende Feststellung bleibt als behördlicher Verwaltungsakt weiterhin wirksam. Erst wenn sich der Gesundheitszustand nachhaltig verbessert hat, kann durch einen Neufeststellungsantrag ein GdB von weniger als 30% festgestellt und der Ausweis wieder eingezogen werden.
6. Blick in die Zukunft
Man sollte auch einmal kritisch in die Zukunft blicken. Zwar schließen Gesetze derzeit einen Missbrauch der Daten aus, und es sind von der Politik auch keine Bedrohungen zu erwarten. Trotzdem lesen wir in unregelmäßigen Abständen von Datenskandalen, wo bspw. unsere Bankverbindungen und andere sensible Daten im Internet gehandelt oder gar in Müllsäcken vor einem Amt gefunden werden.
Wie sieht es in einigen Jahren aus? Vielleicht tauschen Behörden später Daten noch stärker als heute untereinander aus. Dann könnten Behörden möglicherweise in den Gesundheitsakten von Schwerbehinderten stöbern.
Womöglich verändern sich auch wieder mal die Werte in unserer Gesellschaft und Schwerbehinderte werden nicht mehr „gefördert“, sondern nicht nur von Mitmenschen ggf. auch noch vom Staat diskriminiert.
Es gab vor nicht allzu langer Zeit ein sehr dunkles Kapitel in unserer deutschen Geschichte, wo Behinderte als „lebensunwertes Leben“ bezeichnet wurden. Die traurigen Folgen sind Geschichtskundigen bekannt. Vereinzelte Tendenzen in unserer heutigen Gesellschaft, die soweit gehen, dass Körperbehinderte attackiert werden, sind leider wieder traurige Realität geworden und machen zumindest nachdenklich.
7. Fazit:
Jede/r Betroffene ist gut beraten, vor einem Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander abzuwägen und dann zu entscheiden.
Ich habe die Überlegung zu einem Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft bereits in der Vergangenheit auf die einfache Formel gebracht:
Älter und zur Arbeitsplatzabsicherung – Ja / Jung und am Beginn des Berufslebens – Hände weg.
Völlig unbedachte Anträge können sich im Nachhinein schnell als „klassisches Eigentor“ erweisen.