Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Psychologischen Aspekte im Zusammenhang mit CED.
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Strahlemaus
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Registriert: So 7. Feb 2021, 14:33

Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Beitrag von Strahlemaus »

Guten Abend zusammen,

ich weiß nicht, ob jemand einen Tipp hat oder in einer ähnlichen Situation war, aber vlt. hilft es schon es mal nieder zu schreiben und mit anderen zu teilen.
Ich hab mit 10 Jahren die Diagnose MC bekommen. Ich war schon davor relativ ruhig/schüchtern. Dadurch hab ich öfters Probleme Kontakte oder Freunde zu finden.
Ich war nie in einem Verein und auch meine Hobbys sind eher was für Einzelgänger also kein Mannschaftssport.
Das kommt halt noch dazu, denn da fehlen dann die gemeinsamen interessen und man wird schnell als langweilig abgestempelt und steht alleine da. Auch durch die Krankheit hab ich mich oftmals nucht zugehörig gefühlt, da man oft zum Arzt musste und nicht mit gleichaltrigen drüber sprechen konnte. Irgendwann in der 5. oder 6. Klasse wollte ich nicht mehr allein dastehen und hab angefangen mein Privatleben auszuschmücken bzw. schlichtweg lügen zu erzählen.
Ich wollte doch einfach nur irgendwie dazu gehören.
Mit der Zeit hab ich gemerkt, dass das nichts bringt und wollte aufhören damit. Bei neuen Lebensabschnitten z.B. Ausbildung und danach das Berufsleben hatte ich immer die Möglichkeit neu anzufangen, da ich mich immer neu einleben musste und mit menschen zusammen kam, die mich nicht kannten.
Aber ich verfall immer in alte muster, obwohl ich es nicht mehr möchte. Ich weiß, dass das lügen und die darauß entstehenden Freundschaften falsch bzw. nicht echt sind. Ich gebe vor eine Person zu sein, die ich nicht bin.
Ich hab Arbeitskollegen, die teilweise Freunde wurden, aber mein wahres ich kennen sie nicht und das macht mir ein schlechtes gewissen.

Ich hab bereits öfters drüber nachgedacht zu einem Psychologen zu gehen, hab aber Angst, was meine Eltern dazu sagen. Sie wissen von alledem nichts und ihre Reaktion darauf stresst mich zusätzlich.

Ich bin für jeden Tipp/Rat dankbar.

LG

Christian3000
Dauergast
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Re: Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Beitrag von Christian3000 »

Hallo, da noch niemand geschrieben hat,dachte ich,ich mache mal eben einen Anfang.

Wichtig ist es, dass du immer du selbst bist, in jeder Lebenslage und dich für niemanden extra verstellst. Du brauchst gegenüber anderen keine Lügen zu erzählen,denn im Endeffekt hast du davon nichts,machst es unter Umständen dir selbst nur unnötig schwerer. Sei einfach immer du selbst, entweder die Menschen die dir etwas bedeuten wie Familie/Freunde, oder neue Kontakte, Arbeitskollegen etc, die vielleicht mal deine Freunde werden könnten, akzeptieren dich genau so wie du bist, oder wenn nicht,dann weißt du,das es auch nicht die Richtigen für dich sind. Lügen kommen immer irgendwann heraus und du machst dir damit nur zusätzlichen Stress, unnötiger Weise.

Wenn dir das alles zuviel wird,dann ist die Idee einfach mal zum Psychologen zu gehen nicht verkehrt. Wenn deine Eltern was deine Krankheit betrifft voll hinter dir stehen, dann werden sie das auf jedenfall gut heißen, selbst wenn nicht, es ist deine Entscheidung. Das du irgendwen mal angelogen hast, musst du deinen Eltern nicht extra sagen, sondern einfach allgemein das dich die ganze Gesamtsituation in Sachen Krankheit einfach sehr mitnimmt und dich schafft, da sollten deine Eltern das mit dem Psychologen auf jedenfall gut heißen, deine Absicht zu ihm zugehen verstehen. Mit gleichaltrigen sowieso nicht, selbst mit der eigenen Familie kann man einfach über bestimmte Dinge nicht so reden, wie man es gern möchte, das geht einfach nicht. Der Psychologe bzw Psychologin ist eine völlig neutrale Person,die extra dafür da ist, sich einfach alles anzuhören und dir gegebenfalls, sofern er/sie gut ist(das wirst du aber schnell merken, wechseln kannst du sonst immer noch) Ratschläge geben. Ich war früher mal mehrere Jahre bei einer Psychologin(halt alles ausprobiert und an Medikamenten/Therapien,Untersuchungen etc nichts ausgelassen da ich einfach zu viele Sachen habe) und auch wenn ich nicht Therapierbar bin, die Gespräche sind wirklich vollkommen anders und viel besser als mit jedem sonst und können dich unter Umständen auch seelisch etwas befreien. Du kannst dort alle deine Probleme so offen wie du willst ansprechen, was dir psychisch sehr gut tun kann. Denn sich alles einfach mal von der Seele zu reden,wie man so schön sagt und nicht alles in sich hineinfressen, da man mit keinem wirklich über so etwas reden kann, kann enorm helfen.

Mit freundlichen Grüßen

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Savannah
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Diagnose: MC seit 2014

Re: Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Beitrag von Savannah »

Hallo Strahlemaus,

ich habe/hatte ein ähnliches Problem, deshalb möchte ich hier auch noch meinen Senf dazugeben.
Das wird jetzt eher ein Erfahrungsbericht als ein Ratschlag, aber vielleicht kannst du trotzdem was damit anfangen.

Ich bekam meine Diagnose als ich in der 6. Klasse wark, auch ich war immer extrem ruhig und zurückhaltend, bin bis heute lieber alleine als zusammen mit mehreren. Schulfreunde sind mir keine geblieben, und das lag vor allem daran, dass ich mit niemandem wirklich ehrlich war, mich selbst von anderen fern gehalten habe. Dadurch, dass ich für die Infliximab-Infusionen ab und zu einen Tag "weg" war, musste ich natürlich schon ein bisschen was erzählen. Aber letztendlich wussten sie alle nur, dass ich "irgendwas mit Magen-Darm" hab, aber nichts allzu schlimmes, ich war schließlich so gut wie nie krank. Selbst als ich einmal eine wochenlange Modulen-Diät abhalten musste und generell eher am Limit war, wollte ich absolut nichts erzählen, auch nicht meiner damaligen Schulfreundin. Wenn ich offener mit dieser Schulfreundin gewesen wäre, dann wäre der Kontakt mit Sicherheit auch danach noch erhalten geblieben. Das ganze beschäftigt mich immer noch, da es eine gute Freundin war.

Meine Ausrede war anfangs, dass es doch nicht nötig ist solange ich nicht im Schub bin, da ja nichts anders ist als bei den "anderen". Wenn ich dann im Schub war, war meine Ausrede, dass ich meiner Freundin alles erzähle wenn es mir wieder besser geht und ich wieder einen klaren Kopf habe. Ein ewiger Teufelskreis könnte man sagen... Als es dann Richtung 9./10. Klasse ging, wäre ich soweit gewesen, tatsächlich alles zu erzählen, aber da war es dann tatsächlich zu spät. Es wäre ziemlich übel für unsere Freundschaft gewesen, da dann aufgefallen wäre, wie oft ich nicht die ganze Wahrheit erzählt habe. Schweigen kann auch Lügen sein.

Dann in der Ausbildung habe ich tatsächlich versucht, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen, da ich merkte wie anstrengend es ist alles zu verschweigen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, abhängig von Alter, Geschlecht und persönlichen Erfahrungen. Mittlerweile kann ich schon vorher sagen, welche Reaktion wahrscheinlich kommen wird. Eine, die gemeinsam mit mir in Ausbildung war und mich noch von der Schule her kannte, da sie in meiner Klasse war, war komplett geschockt als ich ihr erzählte, dass ich MC habe. Ihr Verhalten mir gegenüber hat sich auch ziemlich verändert seitdem, sie behandelt mich irgendwie gekünstelt freundlich, wie wenn sie Mitleid mit mir hätte. Ich hasse das.
Da ich mittlerweile schon nach kurzer Zeit einigermaßen abschätzen kann, welche Reaktionen mich erwarten, überlege ich mir meist vorher, wie viel ich erzähle. Bin immer noch ziemlich verschlossen, sehe es aber momentan als den richtigen Weg für mich.

Als ich jetzt vor ein paar Wochen bei meiner zukünftigen Arbeitsstelle angefangen habe, habe ich mir vorgenommen, alles gleich zu erzählen, da es schwieriger wird, je länger ich warte und ich die Kollegen nicht ständig wegen meiner Arzttermine anlügen will. Auch kann ich schlecht nur einem Teil der Kollegen davon erzählen, das würde schiefgehen.
Und siehe da, ich bin seit 5 Wochen dort, und hab es immer noch nicht geschafft. Ausrede: Es war noch kein passender Moment da und die Reaktionen meiner Kollegen werden mir überhaupt nicht gefallen. Das Problem ist außerdem, dass noch ein anderer mit einer crohnischen Krankheit in meiner Abteilung ist, über dem hinter seinem Rücken ziemlich schlecht geredet wird, weil er ständig krank ist obwohl er gesund aussieht...

Ich schätze mal, es ist ein langer Prozess, bis man aus einer solchen Verhaltensweise wieder herauskommt, den Fokus sollte man wohl eher auf die positiven Erfahrungen setzen, nicht die negativen. Ich hatte durchaus auch schon die gute Erfahrung, dass alles besser war und mich die Person besser verstanden und angenommen hat, nachdem ich von meinen Problemen erzählt habe. Man wird besser akzeptiert und es kann einem sozusagen "nichts mehr passieren", denn es wissen ja schon alle was Sache ist.
Ich würde aber auf keinen Fall alles offen legen, wenn ich mich dann auf Dauer nicht wohl fühle damit.

Ein Psychologe ist mit Sicherheit hilfreich, damit man diesen Prozess der Veränderung beschleunigt. Auf jeden Fall brauchst du einen Ansprechpartner, mit dem du über alles, wirklich alles, reden kannst.

LG

Sav
Lass dir von der Vergangenheit nicht das Leben diktieren, aber lass sie dir für die Zukunft ein guter Ratgeber sein :)

Grüntee
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Re: Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Beitrag von Grüntee »

Hallo Strahlemaus,

das Problem habe ich zwar nicht in dem Ausmaß, wie du, aber ich kann es gut nach vollziehen! Ich habe bis vor ein Paar Wochen wegen einer Angststörung und Depressionen eine Psychotherapie gemacht und kann dir das nur empfehlen, mir geht es seitdem viel besser. Davor brauchst du keine Angst haben oder so. Und du musst auch deinen Eltern nicht Bescheid sagen (zumidnest wenn du Volljährig bist, bei MInderjährigen weiß ich das gar nicht so genau...).

Für mich hört es sich so an, als sei dein Verhalten ein Symptom eines anderen Problems, weshalb es vermutlich gut wäre, mit jemandem darüber zu sprechen und zu lernen, damit umzugehen.

Was ich sonst noch sagen kann, also aus persönlicher Erfahrung, ist, dass es zwar Überwindung kostet, mit der Krankheit offen umzugehen, aber erstaunlich viele Menschen Verständnis haben. Ich habe auch eine Zeit lang Ausreden erfunden, warum ich zum Beispiel nicht zu Treffen kommen kann. Aber je öfter man das macht, desto weniger wird einem geglaubt. Wenn man dagegen aber aufklärt und sagt, dass man die Krankheit hat, dann ist das schon eher verständlich. Auch "gesunde" Menschen würden ein Treffen absagen, wenn sie zum Beispiel Bauchschmerzen etc haben. Aber dann wissen sie, dass du sie nicht ablehnst. Zumindest ist das bei mir schon einige Male zu diesem Missverständnis gekommen. Aber ja, einfacher gesagt als getan. Ich sag es nur, vielleicht hilft der Hinweis.

LG Grüntee

Lea09
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Re: Lügen erzählen um soziale Kontakte zu halten

Beitrag von Lea09 »

Hey:)
Als ich den Titel gelesen habe, hatte ich zuerst ein anderes Thema erwartet: im Sinne von "ich erzähle den Leuten, dass ich heute nicht ausgehen kann, weil ich beschäftigt bin. Stattdessen liege ich krank im Bett". Aber gut, ich will meine Erfahrungen auch gerne teilen:)

Das Wichtigste zuerst: zum Psychologen gehen ist absolut nicht Schlimmes. In keinster Weise. Dafür brauch es keine Rechtfertigung oder eine Erklärung. Man muss nicht psychisch krank oder in tiefen Depressionen sein, um zu einem Psychologen zu gehen. So eine Diagnose wirft einen aus dem Leben, eine chronische Erkrankung ist kein Spaß, das ist nicht einfach mal so abgehakt. Jemand, der vollkommen gesund ist, kann sich nicht in die Lage eines Menschen versetzen, der eine solche Diagnose bekommt. Ein/e Psychologe/in kann helfen und es hilft meist auch schon, sich vor einer außenstehenden Person mal alles vom Herzen zu quatschen. Bei einer CED ist diese Unterstützung meist genauso wichtig wie eine richtige Medikation. Die Psyche und der Darm sind nun mal miteinander verbunden.
Ich weiß natürlich nicht, wie dein Verhältnis zu deinen Eltern ist, wenn du ihnen nicht alles erzählen möchtest, musst du das nicht. Aber schäme dich nicht für psychologische Hilfe und hab keine Angst davor.

Das wirst du von allen hören: Sei du selbst, verstelle dich nicht, blah, blah. Hast du ja schon selber festgestellt, dass das nicht das Wahre ist. Wie viel hast du den Leuten denn erzählt? Hast du die Lage auch ein bisschen erklärt?

Ich habe nämlich tatsächlich bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht. Ich mache eine Ausbildung in der medizinischen Richtung, also weiß auch jeder, was CED´s sind. Das kann ein Vorteil sein. Wenn niemand genau weiß, was du hast, können sie es vielleicht auch nicht verstehen. Mein zukünftiger Arbeitgeber hat auch super reagiert. Das muss aber jeder selber wissen, ob er das direkt sagt. Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt und bereue es überhaupt nicht.

Die einzige negative Erfahrung, die ich gemacht habe, ist, dass man die aktuellen sozialen Kontakte im Schub eben ein bisschen verliert. Irgendwann fehlt das Verständnis der anderen Seite, wenn man das 5te Mal nicht mitkommen kann.

Wenn du irgendwie weitere Erfahrungen brauchst oder sonstiges, schreib mich gerne per PN an

LG, Lea^^

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