Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Psychologischen Aspekte im Zusammenhang mit CED.
Unity
hat sich häuslich eingerichtet
Beiträge: 86
Registriert: Mo 29. Jan 2018, 22:18

Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Unity »

Hallo liebes Forum,

mich würde mal interessieren, ob ihr mir der Krankheit auch eine andere Erwartung an eurer Leben "erlernt" habt bzw. weniger erwartet. Wie komme ich darauf? Angeregt durch die vielen positiven Antworten, die ich in meinem Thread hier erhalten habe: https://forum.dccv.de/viewtopic.php?f=13&t=7458 - habe ich gemerkt, dass ich mit der Krankheit schleichend viel skeptischer geworden bin, was positive Entwicklungen in meinem Leben betreffen.

Ich persönlich bin nach knapp 6-jähriger CED mittlerweile bei Infliximab angekommen. Nach der Entäuschung, die Krankheit zu haben, mehreren Enttäuschungen, dass verschiedene Medikamente nicht dauerhaft gewirkt haben und der nächsten Enttäuschung, dass ich durch Infliximab überall Pusteln und Pickel bekommen habe, die trotz intensiver Behandlung nicht verschwinden wollen, fühle ich mich sehr ängstlich und erwarte in bestimmten Dingen nicht mehr, dass etwas positiv ausgeht. Im verlinkten Thread seht ihr ja zum Beispiel, dass ich skeptisch bin, ein Haus zu finanzieren, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es gut ausgeht. Die Antworten dort zeigen mir aber, dass andere CEDler eine ganz andere psychische Einstellung zu solchen Themen haben.

Kurz um: Ich habe da teilweise eine sehr ungesunde Opferhaltung erlernt. Es wäre für mich zum Beispiel keine Überraschung, wenn bei Infliximab "gerade ich" Antikörper bilde oder dass ich gerade ich sicher mal viele OPs haben werde. Ich habe auch große Schwierigkeiten mir vorzustellen, dass ich sehr alt werde. Ich kann es mir einfach nicht bildlich vorstellen. Ich traue meinem Körper nicht mehr. Und dieses Misstrauen schlägt sich eben auch in der Lebensplanung nieder (Wie im verlinkten Thread zu sehen).

Dieses Muster zieht sich allerdings nicht überall durch: Beruflich sage ich zu fast allen neuen Dingen gerne ja. Ich bilde mich nebenbei fort und glaube, dass ich sehr viel (neues) schaffen und lernen kann. Ich probiere grundsätzlich gerne neue Dinge aus, ich reise gerne...aber: Ich glaube dank der CED wiederum nicht, dass ich dauerhaft leistungsfähig sein werde und erwarte entsprechend weniger. Auch möchte ich mit der CED zum Beispiel nicht mehr darauf hinarbeiten, mal irgendeine Leitungsfunktion zu bekommen, weil ich nicht glaube, diese Kraft aufbringen zu können und meine Zeit lieber in meine Gesundheit investiere.

Wie sieht das bei euch aus? Hat sich eure Erwartungshaltung / eure Einstellung zu bestimmten Dingen mit der CED verändert? Seid ihr weiter große Optimisten oder seht ihr Dinge durch die gemachten Erfahrungen negativer / seid ihr ängstlicher?

Danke und viele Grüße

Unity

Deimos
neu hier
Beiträge: 3
Registriert: Mi 2. Okt 2019, 09:00

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Deimos »

Hallo Unity,

grundlegend bin ich kein ängstlicher Mensch und springe gern ins kalte Wasser ohne vorher immer Plan B zu haben.
Die Diagnose habe ich seit August 2016 und habe vor der Diagnosestellung geheiratet, 2018 haben wir ein Haus gekauft und die groben Sanierungsmaßnahmen im Sommer 2019 abgeschlossen, bis auf ein Paar Dinge auch selbst alles durchgeführt.
Ich bin Vater einer 2 Jährigen Tochter und bin mir der Verantwortung gegenüber Ihr und meiner Frau bewusst.
Arbeite unter der Woche auswärts und in einer Schlüsselposition im Unternehmen. Meine Führungsverantwortung habe ich allerdings vor 2 Jahren abgegeben und es geht mir damit deutlich besser.
Man macht sich schon so seine Gedanken und merkt das man nicht mehr so Leistungsfähig ist wie früher. Daher bin ich im Herbst 2019 zur Reha und durfte da 4 Wochen bleiben.

Ich lasse mich nicht von der Krankheit unterkriegen und arbeite daran meinen geistigen/seelischen/körperlichen Zustand zu erhalten oder zu verbessern.
Man muss immer das Gesamtpaket beachten, hast du keinen Partner der dich beim Hauskauf unterstützt und du die Aufgaben teilen kannst, wird es schwieriger das alles zu handeln.
Gleiches Gilt bei der Erreichung deiner Beruflichen Ziele, hast du niemanden daheim dem du mal dein Leid klagen kannst dann wird auch das schwierig.

Setz dir vielleicht kleine Ziele die du schneller erreichst und dadurch mehr Selbstvertrauen aufbauen kannst.

Ich drück dir auf jeden Fall die Daumen.
Alles Gute
Tino

good0mens
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Beiträge: 2
Registriert: Mi 12. Jun 2019, 23:06
Diagnose: CU seit 2014

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von good0mens »

Hallo Unity,

ich muss sagen, dass ich gerade die "gesunden" Momente mehr genieße! Wenn ich raus gehen und Sachen machen kann, dann tue ich es auch, und jetzt mehr als früher. Der Hintergedanke an Zeiten, in denen ich nicht an Dingen teilnehmen konnte, treibt mich dabei an.
Allerdings habe ich mich auch durch so manche CU-Schubphase durchgebissen, weil ich unbedingt an der Theateraufführung teilnehmen wollte. So lag ich hinter der Bühne wie eine Halbleiche rum (nicht meine Worte) und habe es mir auf der Bühne nicht anmerken lassen. Vielleicht bin ich da also auch nicht der Standart.
Außerdem bin ich mit meinen 22 Jahren auch noch auf der jungen Seite, die 6 Jahre, die ich nun schon von meiner Diagnose weiß waren definitiv eine Achterbahnfahrt, mit Umzügen und Arztwechseln, aber trotzdem genieße ich es weiterhin Dinge tun zu können.

Die eine Sache, bei der ich vielleicht etwas pessimistischere Aussicht habe, ist die Lebensdauer. Ich gehe durchaus davon aus, dass ich kürzer leben werde als andere, aber das trifft auf viele zu und dabei bleibt mir vor allem der Gedanke an ein Gespräch mit meinem Vater.
Wenn wir nur an die Zahlen und Statistiken glauben, dann wäre mein Bruder als Baby an Leukämie gestorben. Er ist es aber nicht, sondern lebt sein Leben weiterhin gänzlich unbeeinträchtigt.

Es mag vielleicht noch keine Heilung für uns geben, so wie es sie für meinen Bruder gab, aber dafür haben wir es schon so weit geschafft, warum sollte es dann nicht so weiter gehen. Und wie Tino schon sagte, es kommt auf das Gesamtpaket an. Mit dem passenden Umfeld lässt sich noch mehr schaffen, als man sich erhofft hatte. Von Führungspositionen kann ich nun wahrlich noch nicht reden, aber noch habe ich vor meine Ziele hoch zu stecken und darauf zu vertrauen, dass ich es auf meinem eigenen Weg auch schaffen kann.
Nur dass ich eher durch einen Wald spaziere als einen Marathon zum Ziel einzulegen.

Alles Gute weiterhin,
good0mens

Olagwin
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Registriert: Sa 28. Nov 2015, 14:40

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Olagwin »

Hallo Unity,

ich erkenne mich durchaus wieder in deinen Zeilen. Das erklärt auch, was mich manchmal an mir verwirrt, der manchmal scheinbar willkürliche Wechsel zwischen Optimismus und Pessimismus.

Insgesamt kann ich aber über die Dauer der Zeit sagen, dass mich die Krankheit deutlich entspannter gemacht hat. Vor allem beruflich, aber auch sonst. Ich nehme vieles nicht mehr so ernst/verbissen, weil ich weiß es kann sich jederzeit ändern. Dadurch kann ich locker an alles rangehen, weil ich weiß es gibt Schlimmeres.

Was mich aber fertig machte und was ich nicht locker sehen konnte war die Einsamkeit dabei. Zum Glück habe ich eine tolle Partnerin gefunden und sehe jetzt optimistisch in die Zukunft, aber komplett ohne sie zu planen.

Flo84
neu hier
Beiträge: 1
Registriert: Fr 10. Apr 2020, 17:05

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Flo84 »

Hallo

Man wird wacher für die Lebenszeit an sich würde ich sagen.
Ich versuche gerade alles Toxische in meinem Leben los zu werden und stricke einiges um.
Zumindest ist es bei mir so.


MfG

Paloma
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Beiträge: 1
Registriert: Di 21. Apr 2020, 11:31

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Paloma »

Hallo Unity,

Ich fand deine Frage irgendwie spannend, auch zur Selbtsreflexion. Deswegen antworte ich mal, auch wenn ich sonst fast nie im Forum aktiv bin.

Meine spontane Antwort ist nein, ich erwarte nicht weniger vom Leben, nur weil ich Morbus Crohn habe.
Mein Leben verläuft zu manchen Zeiten ein bisschen anders und ich habe gelernt, mit Rückschlägen und negativen Erlebnissen umzugehen.
Aber ich habe auch gelernt, die schönen Momente mehr zu genießen und dankbar zu sein, wie wunderbar das Leben ist, wenn es mir gut geht.
Und ich habe einen ziemlich entspannten Umgang mit Krisen entwickelt, weil ich weiß, egal wie schlecht es mir manchmal ging, irgendwann ist alles immer wieder gut geworden.

Ich habe die Diagnose mit 16 Jahren bekomme und wurde seitdem in den letzten acht Jahren fünfmal operiert, war mehrmals wochenlang im Krankenhaus, habe mich zweimal alleine in die Notaufnahme eingeliefert, habe sehr oft meine Medikamentation gewechselt.
Aber ich habe auch das große Glück, dass ich abgesehen von den offentsichtlich schlechten Zeiten, in meinem Alltag praktisch keine krankheitsbedingten Beschwerden habe und ungefähr alles machen kann, was ich möchte. Was ich merke ist, dass ich zum Teil mehr Erholung und Schlaf als andere Menschen in meinem Alter brauche. Manchmal nervt mich das ein bisschen, aber eigentlich habe ich gelernt, dass ich mir dann einfach ein paar Tage Ruhe gönnen muss, um wieder voll aktiv sein zu können.

Und außerdem ist die Krankheit ja bei Weitem nicht das Wichtigste, was mein Leben definiert und ausmacht!
Ich reise sehr gerne, weshalb ich in den letzten Jahren zum Freiwilligendienst und für die Uni jeweils mehrere Monate in Chile, Portugal und Mexiko unterwegs war. Ich studiere, bin von meinen Eltern ausgezogen und schreibe gerade meine Bachelorarbeit. Und das allerwichtigste, ich habe eine Familie und Freund*innen, die mich auf wundervolle Weise unterstützen.

Für mich gehören Negatives und Positives gleichermaßen zum Leben dazu und solange beides im Gleichgewicht bleibt, komme ich damit klar.
Ich bin trotz, oder vielleicht auch gerade wegen meiner negativen Krankheitserlebnisse, ein sehr optimistischer Mensch, der noch viel Positives vom Leben erwartet!! :-)

reinifant
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Registriert: Sa 28. Sep 2013, 10:53
Diagnose: MC seit 1980
Wohnort: Großraum Düsseldorf

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von reinifant »

Hallo zusammen,

also ich erwarte eindeutig viel "weniger" vom Leben, nachdem ich nun vor über 30 Jahren die Diagnose Crohn bekommen habe und nach und nach praktisch alle üblichen Dinge im Leben, die man so vorhat, nicht umsetzen konnte. Es hat nunmal nicht jeder Glück, bei machen verläuft die Krankheit sehr schwer. Ein "normales" Leben war mir nicht möglich und wird es nie sein - ausschließlich dank Morbus Crohn und seinen Folgeerscheinungen (denn vor der Diagnose war ich völlig gesund). So eine Sichtweise gibt es auch, nicht nur die neutrale bis rosarote.

Viele Grüße vom Reinifant.

Kaja
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Diagnose: MC

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Kaja »

NÖ!!!!

Ich will weiterhin positiv leben wie ich bin und ohne körperliche und psychische Einschränkungen.

Ich hoffe auf die Forschung und Medikamentenentwicklung!

Warum den Kopf in den Sand stecken? Ich habe die gleichen Bedürfnisse wie alle Menschen und auch die gleiche Hoffnung!

Viele Grüße

Kaja

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Savannah
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Diagnose: MC seit 2014

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Savannah »

Hallöchen :D

da gibt es ja sehr verschiedene Meinungen hier!
Ich bin da so bisschen zwischendrin, ich erwarte jetzt nicht später mal Chefin eines Großkonzerns zu werden oder so :lol:
Aber ich sehe die Krankheit als große Chance: Ich bin sozusagen "abgehärteter" als andere, manche Nichtkranke jammern ja sogar wegen Blutabnehmen :roll:
Außerdem habe ich vielleicht auch mehr Verständis für andere Leute mit Krankheiten, kann mich bessser in sie hineinversetzen, habe einiges an Erfahrung mit verschiedensten Ärzten und Behandlungsmethoden und nehme alles ein wenig gelassener, bin nicht immer gleich panisch.
Wenn man da so bestimmte Leute sieht, wie sie wegen Corona Existenzängste bekommen...

Natürlich ist es was anderes wenn man wirklich hart betroffen ist und auch stark eingeschränkt ist in seinen Möglichkeiten, da kann ich den Reinifant natürlich auch verstehen :(
Aber ich stimme Kaja zu, man sollte nicht die Hoffnung auf ein Wundermittel aufgeben!

LG

Sav
Lass dir von der Vergangenheit nicht das Leben diktieren, aber lass sie dir für die Zukunft ein guter Ratgeber sein :)

Percy
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Registriert: So 22. Jul 2018, 18:32
Diagnose: MC/CU

Re: Erwartet ihr "weniger" vom Leben?

Beitrag von Percy »

Ich gehe eigentlich recht positiv an die Sache heran; generell bin ich bei gesundheitlichen Themen oft nicht so besorgt wie andere und habe bezogen auf den Morbus Crohn eine "Das ist jetzt eben so"-Einstellung. Natürlich mache ich mir Gedanken, welche Auswirkungen es hat, wenn ich irgendwann mal 50, 60 Jahre mit so einer Erkrankung gelebt habe und konstant Medikamente genommen habe oder wie es mit meiner Gesundheit in einer Schwangerschaft aussehen wird. Deshalb erwarte ich aber nicht weniger vom Leben. Sollte ich irgendwann mal feststellen, dass ich bestimmte Dinge wegen meiner Erkrankung einfach nicht machen oder leisten kann, wird das natürlich auch nicht einfach für mich sein, aber das hindert mich nicht daran, darauf hinzuarbeiten und zu hoffen. :)

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