Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Austausch zu medizinischen Aspekten von Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und mikroskopischen Kolitiden.
hellothere
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von hellothere »

Catze hat geschrieben:
Mi 2. Feb 2022, 21:11
Ich kann hierzu einfach sagen, dass diese Annahmen in der Psychotherapie als überholt gelten, darum gibt es dazu auch keine neueren Studien mehr.
Wie auch schon erwähnt, macht es keinen Sinn, retrospektiv -also NACH- Erkrankungsbeginn nach Persönlichkeitsmerkmalen zu suchen, da hierbei der Einfluss Erkrankung auf Psyche und Persönlichkeit missachtet wird.
Bei Längsschnittstudien zur Vorhersage von Erkrankungen konnten diese Annahmen nicht bestätigt werden.

Ich kann verstehen und will auch gar nicht ausschließen, dass man sich in einigen Merkmalen widerfindet (ist bisschen so wie mit Sternzeichen und Horoskopen, für alle was dabei:))
Die sind so breit gefasst, dass sie auf mindestens die Hälfte aller psychisch Erkrankten und auch Menschen zutreffen, die keinen ausreichenden Leidensdruck für eine PT zu suchen.
Es gibt mit Sicherheit psychisch Erkrankte, die diese Symptome auch überdeutlich erfüllen. Und doch haben davon sehr wenige eine CED.

Wenn man eine CED hat, ist es umgekehrt natürlich so, dass man in einer PT schauen kann, welche Einstellungen und Verhaltensmuster führen zu verstärkter Belastung. Das können aber viele unterschiedliche Faktoren sein. Nicht nur die genannten.
Und es gibt wiederum CEDler, die sich darin gar nicht wiederfinden.

Lasst das Schubladendenken sein, setzt euch nicht den Stempel auf als psychisch auffällig und dadurch CED krank.
Es deutet auch von großer psychischer Kraft mit diesen Erkrankungen zu leben!
die Psychotherapie lässt dieses Denken auch endlich hinter sich!

Dem stimme ich zu. Diese „Zusammenhänge“ sind überholt, genauso wie die „Krebspersönlichkeit“, die u.a. Eysenck postuliert hat. Hatte ich gerade letztens erst in meinem Seminar.

Die Psyche spielt eine Rolle, ja. Aber wie hier schon gesagt wurde, bringt es da mehr, zu schauen, wie man konkret etwas in deinem Leben positiv ändern kann oder gegebenenfalls eine Psychotherapie zu machen, wenn es noch alte Themen gibt oder die Diagnose einen absolut überfordert.

bodenturnen
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

Dass die aufgezeigten Zusammenhänge hinsichtlich der CED überholt sind, halte ich für falsch. Man könnte eher sagen, sie waren überholt. Mit dem neuen Forschungsbild der Psychoneuroimmunologie sind sie, abseits der Maschinen-Medizin, wieder in den Fokus gerückt. Ob und wann sich diese Erkenntnisse im klinischen Alltag wieder finden werden, steht auf einem anderen Blatt…

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Balin
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Balin »

Hallo zusammen,

halte ich für absolut nicht zutreffend/zielführend und ggf. stigmatisierend. Was denke ich stimmt, ist, dass natürlich lange anhaltende Belastungssituationen sowie auch kurzfristiger Stress sich negativ auf die Krankheit auswirken können. Und dass Entspannungsübungen und Veränderung von belastenden Situationen - zumindest subjektiv - Verbesserung bringen können.
Aber Persönlichkeitsmerkmale mit den Erkrankungen verbinden zu wollen, ist aus meiner Sicht wirklich Küchenpsychologie. Solche Verhaltensmuster sind meiner Meinung nach Umgang mit der Krankheit und Copingreaktionen auf die sehr belastenden und langfristigen Symptome.
Das zeigt sich auch daran, dass bei Besserung plötzlich ganz andere Verhalten gezeigt werden, die Welt "wieder anders aussieht".

Ich denke, dass vegetative Nervensystem spielt bei der Erkrankung wohl irgendwie eine Rolle, aber wie genau, weiß man heute nicht.

Der Hinweis auf die Psychoimmunologie ist finde ich nicht stichhaltig, um zurück zu der überholten und wie gesagt wie ich finde verletzenden / schematisierende und unwissenschaftlichen Ansicht von "Persönlichkeitsmerkmalen" zu kommen. Psychoimmunologie besagt, dass die Psyche mit dem Immunsystem zusammenhängt, was ich heute niemand bestreitet, aber gibt es Forschungsarbeiten der Psychoimmunologie, die von starren Persönlichkeitsmerkmalen ausgehen? Ich glaube nicht.

Weitere Fragen wären: Haben dann sehr junge Kleinkinder, die schwer Erkranken, diese "Persönlichkeitsmerkmale" auch schon ausgebildet? Was ist mit Gensequenzen, die mit der Erkrankung in Zusammenhang stehen? Das passt alles für mich nicht zusammen.

Viele Grüße! :)
Balin

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neptun
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von neptun »

Hallo Bodenturnen,

wie bei allen Thesen zur Entstehung von cu oder mc, sie erklären auch nicht im Ansatz die verschiedenen Verlaufsformen der CED.

Die wesentlichen Aspekte überhaupt sind, was ist der Grund, was sind die Gründe für die Entstehung der CED und was sind mögliche Anlässe, daß die Erkrankungen überhaupt zum Ausbruch kommen?

Bei Persönlichkeitsstrukturen, wer bestimmt dabei, ob sie überhaupt auffällig sind? Im Vergleich zur Normalbevölkerung, die dann ein oder mehrere solcher Persönlichkeitsmerkmale nicht oder nur in abgeschwächter Form haben?

Und gilt diese Annahme dann auch in umgekehrter Folge. Wer solche Persönlichkeitsstruktur hat, bekommt der eine CED?

Nun zum Auftreten von Persönlichkeitsstrukturen:

Was soll man denn über diese entnehmen, wenn Kleinkinder, Kinder schon betroffen sind?

Soll ich generell aus der Schwere einer Entzündung auf unterschiedlich tiefgreifende oder mehrfache veränderte Persönlichkeitsmerkmale schließen?

Wie ist diese Annahme zu werten, wenn man eine Verschlechterung der CED bekommt oder einen chronisch aktiven Verlauf hat?

Wir haben mit den CED chronisch rezidivierende Erkrankungen, die also geprägt sind durch den Wechsel von Rezidiv zu Remission.

Soll man daraus schließen, es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die sich nur zeitweilig auswirken?

Sind Merkmale nicht dauerhaft?

Sicher haben, auch aus den Beiträgen im Forum zu entnehmen, etliche CED-Betroffene die Ansicht, negativer Stress wirkt sich modulierend auf den Krankheitsverlauf aus. Ob es allerdings in kurzen Zeitabständen sein kann, wie öfter geschildert, das erscheint mir eher als Verkennung von Befindlichkeitsstörungen. Da geht es meist um doch kleine Veränderungen von Beschwerden, nicht um große Änderungen im Krankheitsverlauf.

Mir erscheint dies die Realität zu sein mit entsprechenden Folgen, auch für die Psyche:

„Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) gehören zu den körperlich unangenehmsten und seelisch belastendsten Krankheitsbildern überhaupt.“

Dies schrieb Dr. Jantschek 2002, leider vor Jahren verstorben.

https://www.uni-luebeck.de/aktuelles/na ... ungen.html

LG Neptun

Garfield71
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Garfield71 »

Ich denke es gibt einen Zusammenhang generell zwischen autoimmunen Krankheiten und Langzeitstress.

Klarerweise hat ein lange erhöhter Spiegel an Stresshormonen Einfluss auf das Immunsystem und generell die Gesundheit , wie auch immer die genau aussehen (ist meines Wissens nach nicht genauer wissenschaftlich erforscht)

Aber dass Menschen mit CED bestimmte Persönlichkeitsmerkmale überproportional zur Bevölkerung hätten, das ist eine pure Vermutung. Ähnlich wie man mal eine Weile behauptet hat es gäbe eine "Krebspersönlichkeit" was sich dann später als statistisch nicht haltbar herausgestellt hat.

Da gab es ja mal dieses unsäglich blödsinnige Buch, Krankheit als Weg von Dethlefson und Dahlke.

HappyV
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von HappyV »

Hallo,

unser Sohn (7 Jahre und MC, Diagnose mit 5 Jahren) hätte dann in seinem kurzen Leben diese Charaktereigenschaften erworben, die Auslöser des Crohn waren?? Schon mit 2 Jahren hatte er täglich 3-6 flüssige Durchfälle in der Windel, der Kinderarzt hat es als "kann schon mal vorkommen" abgetan.
Wie er nun aufgrund seiner Eigenschaften "schuld" an der Krankheit sein soll, ist mir ein Rätsel.

Übrigens: Von den genannten Eigenschaften würde ich mir selbst Nachgiebigkeit, Konfliktvermeidung, das Bedürfnis nach Geborgenheit, Genauigkeit und Ordentlichkeit zuschreiben und ich habe keine CED oder sonstige Erkrankung :-)

Ich denke, vielmehr ist es so, wie bereits von anderen Usern beschrieben, dass mit der Dauer und Schwere der CED logischerweise sich auch psychische Probleme entwickeln.

LG

Garfield71
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Garfield71 »

HappyV hat geschrieben:
Di 8. Feb 2022, 09:57

Übrigens: Von den genannten Eigenschaften würde ich mir selbst Nachgiebigkeit, Konfliktvermeidung, das Bedürfnis nach Geborgenheit, Genauigkeit und Ordentlichkeit zuschreiben und ich habe keine CED oder sonstige Erkrankung :-)

Mit diesen sogenannten Krankheitspersönlichkeiten ist es doch wie mit dem was im Horoskop steht.

Ja klar, es gibt bei verschiedenen Arten von Krankheiten auch eine psychosomatische Mitverursachung als möglichen Auslöser. Aber genau wie die "Krebspersönlichkeit" ist das echt unsäglich.

Aysu29
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Diagnose: CU seit 2020

Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Aysu29 »

Hey, erstmal sehr interessantes Thema danke fürs teilen
Also ich bin ehrlich die Persönlichkeitsmerkmale von CU Patienten treffen auf mich zu. Habe auch schon oft überlegt mich in Therapie zu begeben, aber das ist ein anderes Thema.
Ich denke bei jedem Menschen ist es unterschiedlich. Es gibt Menschen auf die Treffen gar keine Persönlichkeitsmerkmale zu und das ist auch okay so. Ich denke die Psyche und die Darmerkrankung gehen Hand in Hand. Einerseits sind viele Menschen schon vorbelastet und das wirkt sich auf den Darm aus. Andererseits werden auch viele Menschen erst so durch die Erkrankung. Ich selbst merke oft wie sehr mich die Erkrankung runter zieht und diese Persönlichkeitsmerkmale nur noch verstärkt.
Lg

bodenturnen
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

Sehr interessante Arte-Doku über die Macht der Gedanken:

https://youtu.be/twgVkmP7v_M

bodenturnen
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

Sehr passende Beschreibung in meinem Fall:

„Aus psychischer Sicht sind unterschiedliche Auslöser für das Auftreten der Colitis ulcerosa bekannt. So erlebten an Colitis ulcerosa Erkrankte häufig früh Ablehnung und Zurückweisung. Oft wurde dabei die Ablehnung durch eine „erdrückende“ Überfürsorglichkeit verdeckt. Eine besondere Bedeutung haben hohe Anforderungen, denen diese Kranken als Kinder ausgesetzt waren und die sie übernommen haben, so dass sie sich später ständig selbst überfordern. Charakteristisch ist dabei ein Zwang zur Leistung und ein hoffnungsloser Kampf um Vollkommenheit. Als Folge dieser Erfahrungen entwickeln die von Colitis ulcerosa Betroffenen ein labiles Selbstgefühl mit einer starken Abhängigkeit von anderen Menschen, die sie „bemuttern“. Dabei aufkommende Enttäuschungen und Aggressionen werden verleugnet. Mögliche psychische Ursachen können bis in die Kindheit und das familiäre Umfeld der von Colitis ulcerosa Betroffenen zurückverfolgt werden oder zeigen sich in der Persönlichkeit des Betroffenen selbst. So wird in der Familie häufig ein emotional einengender Umgangsstil mit dem Vermeiden von Gefühlen beobachtet, wenig miteinander reden und der starken Bindung an eine Person. Die Mütter werden häufig als fordernd und kontrollierend erlebt, als perfektionistisch und emotional kalt. Die Väter der betroffenen Colitis ulcerosa Erkrankten werden häufig als brutal, bedrohend, streng und stark fordernd erlebt, beispielsweise werden hohe moralische und körperliche Belastungen sowie die frühe Übernahme von Verantwortung gefordert. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Entwicklung der Selbständigkeit bei Colitis ulcerosa Erkrankten behindert ist, so dass latente Aggressionen mobilisiert werden, die jedoch in Form einer depressiven Verarbeitung gegen die eigene Person gerichtet werden. In der Folge entstehen Gefühle von Resignation, Hilfs- und Hoffnungslosigkeit und ein ohnmächtiger Zorn. Die wirklichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeit von Menschen, die später an Colitis ulcerosa erkranken, sind breit gestreut. Es kann zur Ausbildung von infantilen Zügen und emotionalen Unreifen kommen. Häufig sind auch eine übermäßige Selbstlosigkeit mit einem überstarken Verpflichtungsgefühl, sowie ein starkes Bedürfnis nach Zuwendung und Geborgenheit, depressive Züge und eine Störung des Selbstwertgefühls. Manchmal kommt es auch zu einer überkompensatorischen Reaktion mit Ausprägung einer übertriebenen Selbständigkeit. Häufig sind eine gesteigerte Empfindsamkeit, leichte Kränkbarkeit, Gefühlsabwehr sowie die Verleugnung aggressiver Tendenzen mit Konfliktvermeidung. Auch neigen Colitis ulcerosa Erkrankte zu Verausgabungstendenz, Verleugnung von Abhängigkeit sowie zu Verschmelzungstendenzen. Als typische Merkmale können zwanghafte Züge wie Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit beobachtet werden. Als auslösende Situationen kommen häufig schmerzhafte Verlusterlebnisse wie der Tod naher Bezugspersonen, aber auch Trennung oder Zurückweisung in Betracht. Dabei ist den an Colitis ulcerosa Erkrankten häufig nur eine eingeschränkte Trennungs- bzw. Trauerarbeit möglich. Die äußere und innere Leistungsanforderung in Richtung einer Verselbständigkeit bedeutet für sie den Verlust von Geborgenheit und das Heraustreten aus der bisherigen Abhängigkeitssituation.„

Quelle:
https://www.wicker.de/kliniken/hardtwal ... -ulcerosa/

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