Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Austausch zu medizinischen Aspekten von Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und mikroskopischen Kolitiden.
bodenturnen
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Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

Es gibt sehr viele, vor allem ältere Arbeiten, bzgl. einer möglichen psychosomatischen Genese und auffälliger Persönlichkeitsstrukturen von CED-Patienten (für MC: Stewart 1949, Sperling 1957, Sperling 1960, Riemer 1960, Parfitt 1967, Paulley 1971, Paulley 1974, Savitt 1977, Fürmaier 1980).

Hier zwei interessante Studien zu dem Thema:

https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg. ... beit.pdf

https://mediatum.ub.tum.de/doc/602718/602718.pdf

Bei mir war es in der Vergangenheit so, dass Schübe ausschließlich in Konflikt behaftet Situation kamen. Die Persönlichkeits Merkmale, welche in den oben genannten Studien beschrieben werden, passen sehr gut auf meine eigene Persönlichkeit. Dort werden genannt:

Für Morbus-Crohn-Kranke zum Beispiel:
Depressivität, Pseudounabhängigkeit, Aggressionsgehemmtheit, Nachgiebigkeit, Konfliktvermeidung, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und Dissimulationstendenzen.

Für Colitis-ulcerosa-Patienten:
Depressivität, Abhängigkeit von Bezugspersonen, starkes Bedürfnis nach Zuwendung, Geborgenheit, Verwöhnung, Aggressionsgehemmtheit, Ich-Schwäche, Passivität, Labilität, Zwanghaftigkeit und mangelndes Selbstwertgefühl, große Verletzlichkeit, Genauigkeit, Ordentlichkeit und Sparsamkeit beschrieben.

Diese Persönlichkeitsstruktur führt bei normalen Alltagskonflikten in Beruf, Familie, Partnerschaft etc. zur Somatisierung.

Je länger ich die Krankheit habe, und je mehr ich mich selbst reflektiere, merke ich immer mehr, welchen großen Einfluss die Psyche hat. Meine Gedanken sind dazu in der Lage meinen Darm aufzulösen. Für mich als naturwissenschaftlichen geprägten Menschen war es schwierig, das wirklich so zu akzeptieren. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe.

Früher vertrat man ausschließlich die Auffassung, dass die CU und MC psychosomatische Krankheiten sind. Das bedeutet, dass sie durch bestimmte Persönlichkeits-Merkmale und deren Fähigkeit beziehungsweise Unfähigkeit zur inneren Konfliktverarbeitung ausgelöst werden. In meinen Augen ist da eine Menge dran. Bisher hat die Wissenschaft ja keine wirkliche Pathogenese für CED gefunden.

Wie sind eure Erfahrungen?

Revilo
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Revilo »

Das ist sehr interessant. Viele der aufgeführten Punkte bei CU treffen auf mich zu.

LG
Revilo

greenorest
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von greenorest »

Hallo,

ich habe mikroskopische Kolitis und habe die gegenteilige Erfahrung gemacht: Die Darmerkrankung wirkt sich direkt negativ auf die Psyche aus. Andersrum hilft Arbeit an der Psyche nichts Wesentliches für den Darm.

Ich habe Jahre gelitten, weil man Darmsymptome auf die Psyche schob und daher diese nicht weiter abgeklärt/behandelt wurden. Ich dachte, an einer Angsterkrankung zu leiden. Das war im Nachgang betrachtet völlig falsch. Ich schätze, ca. 3 "verlorene" Jahre mit schlechter Lebensqualität sind hierauf zurückzuführen.

Gruß Tina

Polter
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Polter »

Ich halte das für kompletten Unfug. Ich könnte jetzt sehr viele aufzählen, warum das keine psychischen Krankheiten sind, aber nur mal als Anregung: wenn es so wäre, dann müsste man die Krankheit mit Psychipharmaka heilen klnnen, was nicht funktioniert. Diese beeinflussen nicht mal die Symptomatik.
Darüber hinaus zu mir: Auf mich trifft keine einzige der beschriebenen Charaktereigenschaften zu. Bei mir trat die Erkrankung zum ersten mal in der glücklichsten, konfliktlosesten und ungezwungensten Phase meines Lebens auf und bis heute kann ich absolut null Korrelation mit Stress bzw. meiner allgemeinen psychischen Verfassung feststellen.

Polter
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Polter »

Was ich noch vergessen hatte: die früheren Ergebnisse hinsichtlich der Psyche waren mitunter typische Beispiele für reverse causality. Diese Charaktereigenschaften entckeln nämlich extrem viele Betroffene z.B. um mit der Krankheit umgehen zu können oder weil sich durch die Krankheit die Lebensumstände in eine typische Richtung verändern.
Das Auffinden der typischen Charaktereigenschaften bei CEDlern ist also ca. so, als würde ich sagen: „Wenn Menschen oft mit aufgespannten Regenschirmen rumlaufen, dann regnet es deshalb häufiger“, es ist aber in Wirklichkeit genau anders herum.

bodenturnen
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

[quote=Polter post_id=56957 time=1643825935 user_id=10458]
Ich könnte jetzt sehr viele aufzählen, warum das keine psychischen Krankheiten sind, aber nur mal als Anregung: wenn es so wäre, dann müsste man die Krankheit mit Psychipharmaka heilen klnnen, was nicht funktioniert.
[/quote]

Da wäre ich mir nicht sicher, ob Ego-Dämpfende Psychopharmaka wie Amytriptylin etc. nicht funktionieren. Cannabis hat einen ähnlichen Effekt und hilft vielen sehr gut. Dass die CED im Alter bei vielen verschwindet, lässt sich auch mit psychischen Faktoren erklären. Im Alter hat man bspw. berufliche Stress und Konflikte hinter sich gelassen. Die Kinder aus dem Haus. Ruhe kehrt ein.

Ich habe mal bei Prof. Langhorst eine CED-Studie zu Lebenstilmodifikation mitgemacht. Ging in eine ähnliche Richtung. Diese viel ziemlich eindeutig aus.

Trotzdem interessant, dass du keinerlei Korrelation zu deiner CED siehst. Bzgl. dem Henne-Ei Problem solltest du die verlinkten Studien lesen.

Catze
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Catze »

Ich kann hierzu einfach sagen, dass diese Annahmen in der Psychotherapie als überholt gelten, darum gibt es dazu auch keine neueren Studien mehr.
Wie auch schon erwähnt, macht es keinen Sinn, retrospektiv -also NACH- Erkrankungsbeginn nach Persönlichkeitsmerkmalen zu suchen, da hierbei der Einfluss Erkrankung auf Psyche und Persönlichkeit missachtet wird.
Bei Längsschnittstudien zur Vorhersage von Erkrankungen konnten diese Annahmen nicht bestätigt werden.

Ich kann verstehen und will auch gar nicht ausschließen, dass man sich in einigen Merkmalen widerfindet (ist bisschen so wie mit Sternzeichen und Horoskopen, für alle was dabei:))
Die sind so breit gefasst, dass sie auf mindestens die Hälfte aller psychisch Erkrankten und auch Menschen zutreffen, die keinen ausreichenden Leidensdruck für eine PT zu suchen.
Es gibt mit Sicherheit psychisch Erkrankte, die diese Symptome auch überdeutlich erfüllen. Und doch haben davon sehr wenige eine CED.

Wenn man eine CED hat, ist es umgekehrt natürlich so, dass man in einer PT schauen kann, welche Einstellungen und Verhaltensmuster führen zu verstärkter Belastung. Das können aber viele unterschiedliche Faktoren sein. Nicht nur die genannten.
Und es gibt wiederum CEDler, die sich darin gar nicht wiederfinden.

Lasst das Schubladendenken sein, setzt euch nicht den Stempel auf als psychisch auffällig und dadurch CED krank.
Es deutet auch von großer psychischer Kraft mit diesen Erkrankungen zu leben!
die Psychotherapie lässt dieses Denken auch endlich hinter sich!

MadLila
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von MadLila »

Ich möchte mich hier auch mal einmischen und meine Sichtweise darlegen. In den 30 Jahren, die ich nun schon mit meinem MC rumlaufe, habe ich immer wieder erlebt, dass Patienten sich vehement gegen die These stellen, dass ihre Krankheit irgendetwas mit der Psyche zu tun haben könnte. Dies passiert aber meiner Meinung nach hauptsächlich, weil sie nicht abgestempelt werden möchten als Leute, die man einfach mal mit Psychopillen oder Psychotherapie auskurieren könnte. Genauso wenig möchte irgendjemand von uns dem Trend unterliegen, der irgendwann mal aus Amerika zu uns rüberschwappte: wenn es keine rein körperliche Ursache gibt, dann hat man ja selber Schuld durch seine Lebensweise und könnte sich mit einer Umstellung auch selbst kurieren.

Ich denke, dass Körper und Psyche nicht losgelöst voneinander gesehen werden können. Jede*r von uns wurde durch sein Elternhaus, sein Aufwachsen, durch Erlebnisse in der frühesten Kindheit darin geprägt, wie wir uns verhalten und mit dem Leben umgehen. Die einen sind mutiger, die anderen ängstlicher; Manche sind selbstsicher, andere unsicher; Manche sind laut und drängen sich vor, andere sind leise und halten sich im Hintergrund. Manche haben ein einfaches Familienumfeld, andere ein schwieriges. Im Laufe des Lebens müssen wir alle uns verschiedenen Aufgaben und Problemen stellen. Durch unsere Prägung, aber auch unsere vorgegebenen Lebensbedingungen, gehen wir alle unterschiedlich damit um. Ich bezweifele, dass irgendjemand problemlos alles meistert und nie stolpert oder hinfällt dabei. Die einen lernen daran und werden stärker, andere fühlen sich überfordert und geben auf, wieder andere werden durch den ständigen Kampf gegen Probleme geschwächt. (Ich sehe da immer einen Krieger wie im Fantasy-Roman vor mir, der nach langer erfolgreicher Schlacht, mit seinem Schwert an die Felswand sinkt und sich erst mal erholen muss.)

Darüber hinaus hat jede*r von uns hat eine genetische Disposition. Wo die einen auf Stress z.B. mit Herzproblemen reagieren, kriegen die anderen Verdauungsprobleme oder Erkältung oder, oder… Ich bin davon überzeugt, dass auch eine Erkältung ein Hilfeschrei des Körpers ist, wenn man überlastet ist. Wenn man sich die Ruhe nicht gönnt, die der Körper braucht, holt er sie sich selbst.

Als mein MC damals erstmalig ausbrach, habe ich mich oft gefragt, was mir mein Körper damit sagen will. Ein guter Spruch eines Psychologen war mal: „Wenn die Seele mit dem Körper spricht: Rede du mal mit ihr(ihm), auf mich hört sie(er) nicht.“

Insofern mag es sein, dass wir zu den Leuten gehören, die auf Druck, Probleme, Schwierigkeiten im Leben mit MC oder CU reagieren. Mag auch sein, dass wir bestimmte psychische Merkmale gemeinsam haben. Eine Disposition, wie Aggressionsgehemmtheit, Nachgiebigkeit, Konfliktvermeidung, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit mag eher dazu führen, dass man MC kriegt und nicht z.B. Magengeschwür oder Herzprobleme. Ich finde die Theorie mit den Persönlichkeitsmerkmalen nicht so abwegig. Die Frage ist, wie man mit damit umgeht.

Es ist sicherlich hilfreich, auf seine innere Stimme zu hören und sich zu fragen, wo die Belastungen liegen, was man dagegen tun könnte, was man abstellen kann, was nicht. Ich bin aber nicht der Meinung, dass alles rein medizinisch ist und wir dem völlig hilflos ausgeliefert sind.

Im Übrigen denke ich, dass wir alle mehr oder weniger „psychisch auffällig“ sind. Jeder ist anders, und das ist auch gut so. Das Wichtigste im Leben ist, sich selbst zu erkennen und für sich den passenden Weg im Leben zu finden. Das ist nicht so einfach und mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Und diese Aufgabe hört auch nicht irgendwann auf, sondern dauert weiter bis zum Lebensende, weil alles im Fluss ist und man nie auslernt.

Golem XIII
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von Golem XIII »

bodenturnen hat geschrieben:
Mi 2. Feb 2022, 20:58
Polter hat geschrieben:
Mi 2. Feb 2022, 20:18
Ich könnte jetzt sehr viele aufzählen, warum das keine psychischen Krankheiten sind, aber nur mal als Anregung: wenn es so wäre, dann müsste man die Krankheit mit Psychipharmaka heilen klnnen, was nicht funktioniert.
Da wäre ich mir nicht sicher, ob Ego-Dämpfende Psychopharmaka wie Amytriptylin etc. nicht funktionieren. Cannabis hat einen ähnlichen Effekt und hilft vielen sehr gut. Dass die CED im Alter bei vielen verschwindet, lässt sich auch mit psychischen Faktoren erklären. Im Alter hat man bspw. berufliche Stress und Konflikte hinter sich gelassen. Die Kinder aus dem Haus. Ruhe kehrt ein.
Was bitte sind "Ego-Dämpfende Psychopharmaka"?
Und mein bisher schlimmster Schub kam, obwohl ich keine Arbeit und somit kein Stress hatte. Ich halte nix von der hier im Thread aufgestellten These.
Wenn es so einfach wäre, glaubt ihr denn nicht, dass es dementsprechend behandelt werden würde?

bodenturnen
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Re: Persönlichkeitsmerkmale bei Patienten mit chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen

Beitrag von bodenturnen »

Das Ego ist ständig in Angst. Es liegt im ständigen inneren Dialog mit deinem ICH. Habe ich das was mir zusteht? Werde ich beachtet? Wurde ich bei der Beförderung übergangen? Was denken andere über mich? Bin ich genug?

Es gibt durchaus Psychopharmaka die den inneren Dialog abstellen. Den gleichen Effekt hat auch Cannabis.

Keine Arbeit zu haben und somit eventuell Zukunftssorgen kann auch ein „Stressfaktor“ sein ;)

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