13jähriger Sohn hat Morbus Crohn, Azathioprin alternativlos?

Austausch zu medizinischen Aspekten von Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und mikroskopischen Kolitiden.
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gelöschter Benutzer

13jähriger Sohn hat Morbus Crohn, Azathioprin alternativlos?

Beitrag von gelöschter Benutzer »

Ein herzliches ‚Hallo‘ an alle….

Ich bin neu hier und habe mich angemeldet, da bei meinem jetzt gerade 13 Jahre alten Sohn Ende Oktober leider die Diagnose Morbus Crohn gestellt wurde. Für uns ist alles noch neu und ich versuche, möglichst viel über diese Krankheit in Erfahrung zu bringen, gerade auch weil die bisherige Therapie derzeit nicht wirkt wie erhofft. Zum Glück hatte und hat er nicht diese klassischen Beschwerden mit Bauchschmerzen und Durchfall, bei ihm ist der Verlauf wie folgt:

- Untersuchungen auf CED wurden nach Fieberschüben unklarer Herkunft und der Diagnose einer Gedeihstörung in 05/2019 veranlasst
- Laut Befund der Magen- und Darmspiegelung in 10/2019 geringausgeprägter Pancolitis-Crohn mit deutlich entzündlicher Veränderung des terminalen Ileums und der Ileocoecalklappe. Stenosen oder Fistelgänge wurden nicht entdeckt.
- Dickdarm MRT wurde gemacht (leider ohne Kontrastmittel, das hat er an dem Tag vehement verweigert). So weit beurteilbar, hat er keine Fisteln.
- Ende Februar steht Termin für ein MRT-Sellink an
- Derzeitige Therapie: 75mg Azathioprin täglich, 12wöchige Ernährungstherapie (Trinknahrung Modulen plus strikte Diät), schon seit August täglich 100mg Eisen (1 Kapsel Ferro Sanol Duodenal)
- Calprotectin-Werte lagen von Mai bis Oktober vor der Diagnose so zwischen 200-500 (4x gemessen), Anfang Dezember gab es einen Ausreißer mit fast 6000 (aber auch da hatte er keine Schmerzen, allerdings ein paar Tage später leichten Durchfall, kann aber auch nur ein Magen-Darm Infekt gewesen sein und nichts mit MC zu tun haben), einen neueren Wert habe ich bisher noch nicht

Das Problem besteht darin, dass es ihm seit Beginn der Behandlung Anfang November inzwischen schlechter geht als vorher: Erkältungen in Endlosschleife, müde, schlapp, teilweise extrem reizbar, Appetitlosigkeit, Eisenwerte sind gesunken (waren seit Eiseneinnahme erst wieder etwas gestiegen), er hat weiter Gewicht verloren. Keine Ahnung, ob das alles von der Erkrankung oder den Tabletten kommt, die zeitlich anscheinend noch gar nicht richtig wirken können. Auch die Ernährung funktioniert nicht so wie geplant. Mein Sohn ist ein extrem schwieriger Esser, Obst und Gemüse stehen praktisch nicht auf seinem Speiseplan. Die strikten Diätvorgaben schränken ihn daher extrem ein. Außer dem erlaubten Huhn, Kartoffeln, Bananen und mittlerweile auch etwas Vollkornbrot und Rindfleisch mag er praktisch nichts, was die Diätvorgaben so vorsehen. Auch das Modulen kann er inzwischen nicht mehr sehen und kommt kaum auf die nötige tägliche Ration. Momentan befindet er sich in einer Abwärtsspirale: beginnende Pubertät mit all ihren Probleme, er hadert fürchterlich mit der Diagnose (warum ich, ich will mein altes Leben wieder…), Fehlzeiten in der Schule durch Krankheit und Arztbesuche, Noten haben sich schon verschlechtert. Erschwerend kommt hinzu, dass er schon immer sehr sensibel und empfindlich war, die Erkrankung trifft ihn daher besonders hart.

Wir als Eltern haben dadurch unsere Zweifel, ob die Therapie, so wie sie jetzt durchgeführt wird, in seinem Fall wirklich das Richtige ist. Uns ist klar, dass es etwas getan werden muss, um die Entzündung abklingen zu lassen und eine Verschlechterung zu vermeiden. Bisher ist der Darm nicht vernarbt und das soll möglichst noch lange so bleiben. Allerdings können wir uns weiterhin nicht mit den Azathioprin Tabletten und den damit einhergehenden möglichen Nebenwirkungen und Risiken anfreunden. Mag sein, dass der eingeschlagene Weg die Standardtherapie ist, aber gibt es denn keine Ausnahmen, wo eine andere Lösung die bessere ist??? Für den behandelnden Kindergastroenterologen ist das Azathioprin alternativlos, über andere Möglichkeiten wurde und wird nicht diskutiert. Man versteht zwar unsere Bedenken, gab uns aber klar zu verstehen, wir würden ihm extrem schaden, wenn wir das Medikament jetzt wieder absetzen würden. Irgendwelche Alternativen zum Azathioprin hat man uns nicht aufgezeigt (bzw. die würden uns dann auch nicht gefallen, meinte der Doc).

Damit sitzen wir jetzt ratlos vor einem Berg von Fragen, wie es weitergehen soll. Wenigstens habe ich relativ schnell schon in 6 Wochen einen Termin für ihn bei einem Psychologen bekommen – wurde uns geraten zur Krankheitsbewältigung und auch, um die Gründe seines Ernährungsverhaltens (extrem eingeschränkter Speiseplan) zu erforschen und zu ändern. Wir werden auch versuchen, uns anderweitig noch eine zweite ärztliche Meinung einzuholen. Als Eltern will man ja nur das Beste für sein Kind, ich kann doch nicht zusehen, wie es ihm in der momentanen Behandlung stetig schlechter geht!

Hier in dem Forum sind ja viele von euch (leider aus eigener Erfahrung) zu echten Experten geworden. Ich erwarte keine Ferndiagnose, aber ein paar Erfahrungswerte, Tipps für uns oder etwas Aufmunterung würden mir schon sehr helfen.

So, ist extrem lang geworden, einen extra Dank an alle, die es geschafft haben, alles zu lesen.

Grüße an euch,

Tarawera

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neptun
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Registriert: Do 20. Dez 2012, 19:58

Re: 13jähriger Sohn hat Morbus Crohn, Azathioprin alternativ

Beitrag von neptun »

Hallo Tarawera,

willkommen im Forum.

Zuerst einmal der Link zur Leitlinie mc. Darin ist das aktuelle Wissen rund um mc in allen Bereichen dargestellt. Leitlinien sind Handlungsempfehlung für Ärzte.
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-004.html

Ich hoffe, zu Beginn der Azaeinnahme wurden wöchentliche Blutkontrollen, wie vorgeschrieben, durchgeführt?
Häufig tritt Übelkeit auf, weshalb man dann möglich die Dosis direkt zur Nacht nimmt, um diese zu verschlafen.
Meist gibt sich die Übelkeit mit der Zeit.
Der Wirkungseintritt ist durch die Art, wie Aza in den Körper eingreift durch Verminderung der B- und T-Zellen, zu den Leukozyten gehörig, um die Entzündung zu unterdrücken, erst nach 3-6 Monaten zu erwarten.
Man muß die Sonne meiden und sich schützen. Der Urin kann neongelb werden.

Eigentlich soll durch Aza nur eine überschießende Immunreaktion auf ein normales Maß gebracht werden. Wenn die Wirkung allerdings zu mehrfachen Erkältungsschüben führt, dann mag es nicht die richtige Therapie sein.
Außerdem muß geprüft werden, ob die Leukozyten auf den angestrebten Wert von 4.000 gesunken sind und nicht noch tiefer.

Nach Leitlinie soll eigentlich eine Ernährungstherapie möglichst nur mit Astronautenkost gemacht werden, nicht mit einer Diät dazu. Außerdem kenne ich nur eine Zeitdauer von 8 Wochen.

Du fragst nach Alternativen.
Eigentlich wird als Akutmedikation Prednisolon eingesetzt, also ein systemisch, über den gesamten Körper, wirkendes Cortison, daß dann langsam ausgeschlichen wird.
Gegenanzeige bei Kindern ist die verlangsamte Entwicklung. Bei Euch nun schon anscheinend bereits durch die Entzündung bedingt. Das ist also abzuwägen.

Es gibt aber auch topisch, vor Ort, wirkendes Cortison. Es ist das Budesonid, welches dann niedriger dosiert ist. Außerdem wird es beim ersten Durchgang durch die Leber schon zu 90 % verstoffwechselt. Man kann also davon ausgehen, die Nebenwirkungswahrscheinlichkeit ist beträchtlich geringer.

Es gib das Budesonid in unterschiedlicher Verpackung, was den Ort der Freisetzung bestimmt. Die Medikamente Budenofalk und Entocort wirken im terminalen Ileum und im Bereich der Ileozökalklappe, das Cortiment im Dickdarm.
So etwas wäre also auch als Akutmedikament einsetzbar.

Bei Pancolitis liegt im allgemeinen schon ein Sonderfall vor aufgrund der Ausdehnung der Entzündung. Und um den Grund für die Entwicklungsstörung schnell zu minimieren wären auch die Medikamente der 3. Stufe der Behandlung, die Biologicals, anzudenken.

Nun scheint bei Deinem Sohn die Stärke der Entzündung gering zu sein. Was bei mc zwar immer eher nebensächlich erwähnt wird, sich aber bei vielen Betroffenen doch in der Praxis als wirksam erwies, das ist die Basismedikation mit Mesalazin. Für den Dickdarm wären dies Salofalk, Claversal oder Mezavant. Das sollte nach meiner Meinung auch bedacht werden.

Die angewandte Diät sagt mir nicht viel, außer, daß Fett als hauptsächlicher Energielieferant fehlt. Aber Kohlehydrate und Ballaststoffe sind drin. Letztere werden eher gemieden, um die entzündete Darmschleimhaut nicht weiter zu reizen.
Ich denke, bei Untergewicht und Entwicklungsrückstand, da sollte die Ernährung noch mal überdacht werden.

Dein Sohn bekommt Eisen. Hat er auch eine Anämie?
Vitamin B12 wird normal im terminalen Ileum resorbiert. Durch Entzündung kann die Aufnahme temporär mehr oder weniger gestört sein, wodurch ein Mangel entsteht. Dieser zeigt sich verzögert, weil der Körper ein Depot dafür hat. Vitamin B12 ist am Aufbau beteiligt der Erythrozyten beteiligt, wie auch an ganz vielen Körperfunktionen. Daher mag es dann depressive Verstimmung geben, Konzentrationsschwäche, etc. Und es führt eben auch zur Anämie. Da hilft Eisen allein nicht.
Eisen ist ziemlich Magen- und Darmunverträglich, aber dazu kann vielleicht jemand anderes noch mehr schreiben, z.B. Korona.

Dann gibt es in der DCCV noch die Kind-Eltern-Initiative zum Austausch.
https://www.dccv.de/die-dccv/arbeitskre ... nitiative/

Es gibt auch ein Infoblatt für Lehrer, falls Bedarf in der Schule besteht.

Soweit erst mal.

LG Neptun

gelöschter Benutzer

Re: 13jähriger Sohn hat Morbus Crohn, Azathioprin alternativ

Beitrag von gelöschter Benutzer »

Lieber Neptun,

vielen herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort, da habe ich eigentlich gleich mehr erklärt bekommen als bei den Gesprächen mit den Ärzten….

Ich bin morgen unterwegs, schaue aber am Wochenende nochmals nach den genauen letzten Laborwerten und schreibe auch was zu den Details der Diät. Die Kombination aus Astronautennahrung und Diät ist ganz neu und wird bei uns an der Klinik erst seit wenigen Monaten praktiziert. Vorher gab’s nur die Variante mit 12 Wochen Modulen Trinknahrung.

So viel vorab: die Blutkontrollen werden wie vorgeschrieben gemacht, Leukozyten sind derzeit noch bei ca. 10.000, also nicht zu niedrig. Übelkeit hat er zum Glück nicht. Cortisonpräparate wollten die Ärzte derzeit nicht geben, da wären die langfristigen Risiken noch größer als beim Aza. Zu den Biologicals wurde nichts weiter gesagt. Sind das die Medikamente, die per Infusion oder Spritze verabreicht werden? In der Richtung wurde was erwähnt, aber ohne Namen der Präparate. Sorry, mit der ganzen medizinischen Terminologie kenne ich mich bisher noch überhaupt nicht aus.

Hämoglobin und Eisen sind zu niedrig. Seit August nimmt er die Eisenkapseln, die er eigentlich recht gut verträgt und die Werte hatten sich erst auch gebessert. Hämoglobin war von rund 11 auf 12,1 hoch, Eisen bei glaube ich 68. Seit Beginn der Diät und Azathriopin ging beides runter, HB war wieder runter auf 10, Eisen sogar bis auf 17…. Vitamin B12 muss ich schauen, ich meine das wurde untersucht war aber noch im Referenzbereich.

Nochmals vielen Dank für deine Erläuterungen und ein schönes Wochenende!

Tarawera

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neptun
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Re: 13jähriger Sohn hat Morbus Crohn, Azathioprin alternativ

Beitrag von neptun »

Hallo Tarawera,

sicher wirst Du im Forum viel Informatives finden. Gibt ja auch einige Eltern hier, auch mit noch jüngeren Kindern.
Die Biologicals werden als Infusion oder Spritze gegeben, Remicade, Humira, Stelara, Entyvio.

Cortison ist Akutmedikament, also nie für eine Daueranwendung. Da wäre das Nebenwirkungsprofil tatsächlich höher als bei allen anderen Medikamenten. Aber es ist eben Akutmedikament, wirkt am schnellsten und effektivsten.
Wie für alle Medikamente gilt aber, Wirkung wie Nebenwirkungen sind immer individuell zu sehen.
Daher kann man alles immer nur selbst ausprobieren. Erfahrungen anderer helfen da gar nicht. Leider.

Im Vordergrund müßte doch stehen, die Entzündung schnell zu stoppen, damit der Entwicklungsrückstand und das geringe Gewicht ins Lot kommen.

Lies am besten in der Leitlinie, die es auch unter dem Link als Patientenversion gibt.
Aber sicher ist auch die Langversion zu empfehlen. Es muß ja zur Zeit nicht jeder Aspekt sein sondern die für Euch aktuellen Teile.

Letztlich heilen die Medikamente ja auch nicht. Sie unterstützen den Körper indem sie unterdrücken. So kann Entzündung gestoppt und auch zurück gefahren werden. Aber alles bestimmt der Körper. Er hat aus unbekannten Gründen zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Entzündung angefangen. Warum zu diesem Zeitpunkt, auch ungeklärt. Ebenso ist es aber auch im umgekehrten Fall. Der Körper muß das Bestreben nach Entzündung wieder aufgeben. Warum und wann sind ungeklärt. Dann kann man auch wieder ohne Medikamente in Remission sein. Denn die CED sind chronisch rezidivierende Erkrankungen, also geprägt vom Wechsel von Rezidiv zu Remission. Viele Betroffene vergessen das und meinen, sie müßten nun lebenslang Medikamente nehmen. Dabei sind die dafür weder ausgelegt noch gibt es Erfahrungen dazu.

LG Neptun

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