Auswirkungen meiner Linksseitencolitis

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neptun
Inventar - wird täglich mit abgestaubt
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Registriert: Do 20. Dez 2012, 19:58

Auswirkungen meiner Linksseitencolitis

Beitrag von neptun »

Auswirkungen meiner Linksseitencolitis

Hier sind die Auswirkungen aufgeführt, die ich in meinen Verfahren zum Grad der Behinderung und zur Erwerbsminderungsrente angegeben hatte.

Sie mögen beispielhaft anderen Betroffenen in ihren Verfahren zur Antragstellung helfen.

Hier der Link zu meinem GdB-Erfahrungsbericht.

https://forum.dccv.de/viewtopic.php?f=1 ... 039#p50039

LG Neptun

Es geht nicht nur darum, die Tatsache zu verarbeiten, daß man an einer chronischen Erkrankung leidet, deren weiteren Verlauf niemand kennt. Die Krankheit beschäftigt einen täglich, ob man dafür empfänglich ist oder nicht, sie bindet die Gedanken.
Seit Ende 1996 habe ich immer Blut- und Schleimabsonderungen im Darm, also eine permanente Entzündung. Es ist ein nachgewiesener chronisch aktiver Verlauf.

Dazu habe ich in den letzten Jahren mehrere schwere Schübe durchlebt mit deutlich erhöhter Stuhlfrequenz, die dann nicht mehr bei 3-5 Mal liegt sondern bis zu 12 Toilettengänge über den Tag erreicht. Der Stuhlgang kündigt sich vehement an. Es kommen ganz plötzlich Schmerzen auf, die Tenesmen, die mich innerhalb weniger Sekunden drängen, einen geeigneten Ort aufzusuchen. Die Tenesmen führen auch dazu, daß dieser imperative Stuhldrang nicht zu kontrollieren ist, in eine Inkontinenz mündet. Die erlebe ich mittlerweile täglich und vollkommen bewußt.

Ganz konkret führt der plötzliche Druck, das Brennen im Unterbauch und der Schmerz mit anschließend zeitlich kaum oder gar nicht zu kontrollierender Stuhlentleerung je nach Situation zu panischer Angst. Ich habe durch die Entzündung vermehrt Blähungen. Dazu bildet sich phasenweise über Monate wässrige Darmflüssigkeit, die mich daran hindert, Blähungen ungehindert abgeben zu können. Dies geht dann nur noch im Liegen und bei größerer Menge muß ich unbedingt eine Toilette aufsuchen, wo es dann wie ein kleiner Wasserfall rauscht.

Die schweren Schübe gehen einher mit langer Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Durch die intensivierte Entzündung sind die Schmerzen bei Defäkation enorm. Mittlerweile bekomme ich Gänsehaut davon, auch wenn es jeweils nur sehr geringe Stuhlmengen sind, teils sogar nur Blutpropfen.

Durch die Colitis ulcerosa muss ich bei Bedarf eine Toilette absolut kurzfristig aufsuchen können. Der imperative Stuhldrang kommt ohne zeitliche Vorwarnung. Toilettengänge sind dadurch nur in vertrauter Umgebung und ohne Hindernisse möglich und auch mit diesen Voraussetzungen habe ich es trotzdem schon häufig nicht mehr geschafft. Daher bedeutet es regelmäßig Stress für mich, unter Leute zu kommen und eine Toilette nicht in unmittelbarer Nähe zu wissen, die für mich auch wirklich zugänglich ist. So bekomme ich mittlerweile in vielen Situationen ein Krampfgefühl im Unterbauch, kalte Schweißausbrüche und weiche Knie sowie eine allgemeine Unruhe, unter der die Situation durch mich möglichst schnell beendet werden muss. Auch bewusste Bauchatmung verschafft dann nur einen kurzen Zeitaufschub.

Solche Angst ist auch nicht mit anderen Phobien zu vergleichen, denn hier kommt es zur Defäkation, also zu einem tatsächlichen Ereignis und es geht in die Hose.

Seit einigen Jahren und wohl leider auch in Zukunft, ist es mir nur eingeschränkt möglich, am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Es gilt für das tägliche Leben. Das fängt mit profanen Dingen an, wie dem Einkaufen. Wenn ich mir überlege, daß ich besser erst nachmittags Geschäfte aufsuche, weil dann die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Stuhlganges ausgerechnet in diesem Zeitraum gegenüber dem Vormittag geringer ist, weil ich wohl schon mehrmals die Toilette an diesem Tage aufsuchen mußte, so ist das eine gravierende Einschränkung meines Tuns und bedeutet in der Regel eher ein Lassen. Dieses erstreckt sich dann aber auf die verschiedensten Bereiche. Es gilt z.B. für Marktbesuche, die nicht möglich sind, aber auch Arztbesuche etc., die schwer zu bewältigen sind. Es gilt z.B. für das Bummeln oder Einkaufen in der Innenstadt, für Spaziergänge an belebten Orten, für Vergnügungen, Besichtigungen.

Es gilt für Fahrten in allen öffentlichen Verkehrsmitteln.

Will ich diesen Kreis mal durchbrechen, z.B. für eine Flugreise, so kommt es zu so kuriosen Vorgehensweisen, daß ich in den Vortagen nur noch geringe Mengen Nahrung zu mir nehme und abführe.

Es gilt für das kulturelle Leben, wie z.B. Konzert- und Theaterbesuche, Kino, Veranstaltungen, Versammlungen, an denen ich weder passiv noch aktiv teilnehmen kann.

Es gilt für das Familienleben. Abends Essen gehen und hinterher noch etwas unternehmen ist nicht möglich. Bei Übernachtungsbesuch habe ich selbst im eigenen Haus Probleme, weil dann die Toiletten höher frequentiert sind.

Es gilt für das Arbeitsleben. Ich habe Besprechungen, Ortsbesichtigungen, Messungen in Firmen durchzuführen. Ich habe an öffentlichen Terminen teilzunehmen. Ich muß an Versammlungen und Veranstaltungen (z.B. Weiterbildung) teilnehmen. Eine Konsequenz meiner Behinderung ist es, daß ich nur noch im Auto zur Arbeitstelle komme und nicht, wie in den vorangegangenen 16 Jahren, mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber auch die Fahrt zur Arbeit im Auto hat mir schon des öfteren den kalten Schweiß auf die Stirn getrieben, weil es während der kurzen Zeit doch wieder im Darm drückte und ich dann nicht weiß wohin.

Es mag sein, dass bei der geringen Anzahl betroffener Personen noch nicht genügend Informationen über die Auswirkungen auf das tägliche Leben gesammelt werden konnten, weil diese Menschen vielleicht aus Scham schweigen. So will ich noch einige Begebenheiten erwähnen, die mich betrafen.

Ich habe auf dem Fußweg an einer Hecke gehockt in meiner Not und Fußgänger liefen an mir vorbei.

Ich kenne alle zugänglichen Toiletten, alle Büsche, Bäume und kleine Grünflächen in meiner Umgebung aus bewußtem Grund.
Kein Klo ist mir fremd und es gibt viele, bei denen ich mir die Benutzung lieber verkniffen hätte. So sind mir auch (fast) selbstverständlich Toiletten, die den Frauen vorbehalten sind, nicht fremd.

Aber stehen sie mal vor einem abgeschlossenen Klo, weil Männer nach Volksmeinung in aller Regel nur pinkeln und bei Öffnung auch die Kloschüssel nur dafür benutzen würden.

Häufig habe ich versucht, den Schmerz zu unterdrücken, der mich zum Stuhlgang zwang, um dann in den folgenden 15 – 20 Sekunden bis der Darm das nächste Mal kontrahiert einen abgeschiedenen Ort oder ein rettendes Klo zu erreichen. Können sie sich vorstellen, wie man unter dieser Voraussetzung geht?

Ich habe es schon öfter selbst im Treppenhaus oder direkt vor dem Klo nicht mehr geschafft.

Ich mußte schon klitschnaß aus der Dusche springen, um auf das Klo zu kommen.

Ich habe Gespräche unterbrochen und Leute plötzlich stehen gelassen.

Jede Situation, bei der nur eine Toilette in Reichweite ist, bringt schon eine Angstreaktion, denn sofort steht im Raum, wenn ich muß, ist diese dann auch für mich frei?

Ich habe auf dem Randstreifen an der Autobahn mit Warnblinkleuchte gestanden und bin die Böschung hinaufgestürmt, wobei meine drei mitfahrenden Arbeitskollegen verblüfft im Auto saßen.

Nach einer Magenspiegelung habe ich es selbst in der Arztpraxis durch die entweichende Luft nicht mehr bis zum Klo geschafft.
Ich liege auf Gängen, in Räumen, zwischen parkenden Autos, irgendwo im Freien, um mich den Blicken Anderer zu entziehen und Blähungen loswerden zu können.

Solche Erfahrungen haben tagtäglich Auswirkungen auf alle meine Lebensbereiche. Sie bestimmen, was und wann ich esse, was ich wann mache, was ich nicht mehr mache, wie ich mich speziell vorbereite, um etwas tun zu können, welche Art Urlaub ich mache, wo ich mich aufhalte, wie ich mich fortbewege, welches gemeinschaftliche und kulturelle Leben ich führen kann.

Nur in der Natur fühle ich mich frei und ungezwungen. Daher mache ich Radtouren und Hochgebirgswanderungen. Da ist imperativer Stuhldrang kein Hindernis, wenn man keine Hemmungen hat, Bäume, Büsche, Felsen als Sichtschutz aufzusuchen. Hemmungen und Scham, die kann man sich nicht leisten

Versetzen Sie sich gedanklich in diese Lage. Wie würden Sie sich täglich fühlen?

Letzte Möglichkeiten:
Man kann Personen als Zeugen benennen, möglichst aus dem eigenen Haushalt, also Partner, Geschwister, Eltern.
Man kann Fotos vorlegen von Ausscheidungen. Manchmal sind Bilder einfach prägender.

Pepsi0501
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Registriert: Mi 22. Apr 2020, 12:05

Re: Auswirkungen meiner Linksseitencolitis

Beitrag von Pepsi0501 »

Hallo,
vielen lieben Dank für diesen ausführlichen Bericht.
Ich hatte Tränen in den Augen - aus Mitgefühl und aus der eigenen Erfahrung!
Das hätte ich genau so auch schreiben können. Klingt vielleicht jetzt irgend doof, aber es tut gut nicht mit dieser Krankheit allein zu sein.
Ich habe am Donnertag meinen Gutachtertermin. Die EU-Rente wurde abgelehnt und ist jetzt im Widerspruchsverfahren. Ein sehr netter Herr vom DCCV hat mir dazu auch eine Stellungnahme geschrieben und ich bin so mutlos, denn der medizinische Dienst des Arbeitsamtes hat sich der Rentenversicherung angeschlossen und so bekomme ich jetzt, da ich ja noch einen Arbeitgeber habe, wahrscheinlich nicht mal das AG 1.
Da ich leider auch noch wohlgenährt bin, bin ich als gesund eingestuft.
Ich werde Donnerstag dorthin gehen und ein paar der Dinge ausführen, die du hier auch erlebt hast. Denn die Krankheit ist echt kein Spaß.
Liebe Grüße Petra
PS. bekomme jetzt nach Infliximap - Stelara - aber auch das wirkt nicht und ich benötige mind. 1 x nachts und 10-15 x eine Toilette

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