Medizinstudium mit Colitis Ulcerosa

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Crankie
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Medizinstudium mit Colitis Ulcerosa

Beitrag von Crankie »

Hallo zusammen,
ich bin aktuell BWL Student im 5ten Semester und hoffentlich im Februar 2021 fertig mit dem Studium. Aktuell frage ich mich jedoch ob ich den Rest meines Lebens im ReWe verbringen möchte :D schon immer habe ich mich für Medizin interessiert und hatte damals auch ein Studium ins Auge gefasst, dies dann aber aufgrund langer Wartezeit nicht gemacht und BWL gemacht. Nun habe ich seit letztem Jahr die Diagnose CU und bekomme Mesalazin und Entivyo. Seit dem ist mein Interesse für die Medizin nochmal stärker geworden und ich bin stark am Überlegen ob ich nach meinem Studium jetzt (2 Semester vor Ende abzubrechen erscheint mir nicht sehr sinnvoll) mit Medizin anfangen soll. Jedoch bin ich mir aufgrund meiner CU sehr unsicher, da es ja ein recht stressiger Job sein soll und ich die ganze Zeit mit Kranken zu tun hätte ( Stichwort Immunsupremierung), außerdem wäre ich dann 23, ist das nicht etwas spät um mit dem langen Studium anzufangen ? Wie ihr sieht, viele Zweifel :D aber ich habe auch richtig Lust darauf, vorallem die Onkologie und Gastroenterologie interessieren mich. Hat jmd vlt Erfahrungen und Empfehlungen, oder arbeitet trotz Cu vlt sogar als Arzt ? Vielen Dank. Über jede Erfahrung freue ich mich.

Bleibt Gesund !

Grüße

Crankie

JuleAmMeer
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Re: Medizinstudium mit Colitis Ulcerosa

Beitrag von JuleAmMeer »

Hi,

Ich bin 31, Ärztin in Weiterbildung für den Facharzt Innere Medizin und arbeite in einem Krankenhaus. Ich habe Morbus Crohn seit ich 16 Jahre alt bin, diagnostiziert leider erst mit 28 Jahren, nachdem ich nach der Geburt meiner Tochter einen schweren Schub bekommen habe.
Ich liebe Medizin und ich liebe es als Ärztin zu arbeiten. Ich liebe sowohl die Theorie als auch die Praxis und ich habe einen Bereich gefunden, der mein Herz höher schlagen lässt und bei dem ich jeden Tag gerne zur Arbeit gehe. Ich könnte mir für mich selbst nichts erfüllenderes vorstellen als diesen Beruf. Ehrlich. Aber der Crohn macht es mir tatsächlich schwer und ich bin körperlich nicht so belastbar, wie meine Kollegen. Und diese Erkenntnis hat lange gedauert und war sehr schmerzhaft. Das Studium habe ich ohne Probleme trotz nicht behandeltem, aktiven Crohn geschafft. Dabei bin ich aber auch öfter über meine Grenzen gegangen. Rückblickend hätte ich Druck raus nehmen können und einfach ein/ zwei Semster länger gebraucht, wäre auch keine Schande. Da gab es Kommilitonen, deren Gründe mit viel Party machen weniger dringlich waren ;-) Ich war dann nach dem Examen ein Jahr in Elternzeit. Der Schub war schwer, langwierig und hartnäckig. Es hat insgesamt ein Jahr gedauert bis an Arbeitsfähigkeit zu denken war. Ich habe mit 80% gestartet, auf der Pulmologie, nach 2 Monaten dann ca. 4x 24h Dienste pro Monat, häufig aber nicht schön verteilt, sondern gerne auch mal 2-3 in einer Woche. Nach 3 Monaten Dienstsystem war ich körperlich so fertig, dass ich binnen der Probezeit zu meinem Chef gegangen bin ( wir haben ein freundschaftliches Verhältnis) und gesagt habe, dass ich kündige. Es ging nicht mehr. Ich hatte nicht nur mit dem Darm an sich zu kämpfen, sondern auch mit Infekten ( wobei das im ersten Jahr normal ist und nicht unbedingt durch die Medikamente- Remicade/Salofalk) und vor allem körperlicher Erschöpfung. Das ganze ist sicher auch dadurch vestärkt wurden, weil ich ein Kleinkind zu Hause hatte, dass Mama aktiv brauchte und ich mich nicht den ganzen Tag im Bett verkriechen konnte. Aber die Gesamtsituation war frustran. Mein Chef hat mich gebeten zu bleiben und mir eine Stelle gegeben, bei der ich die letzten 1,5 Jahre von Montag bis Freitag im Frühdienst gearbeitet habe. Es ist eine Stelle mit einem Arbeitspensum, bei dem man Gas geben muss, ich mache keine Pausen, aber gehe dafür meistens pünktlich ( es sei denn, es gibt Notfälle). Zusätzlich bin ich von jeglichem Schicht-und Wochenenddienst per Attest befreit und habe einen GdB zum Schutz. Mich auf diese Sonderstellung einzulassen hat mich viele Tränen und viele schlaflose Nächte gekostet, weil man in einem Team keine Sonderstellung möchte. Es war für mich aber der einzigste Weg, als Arzt praktisch in einer Klinik zu arbeiten. Es hat zu extrem viel Unmut bei den Kollegen geführt und ich wurde auch die ersten Wochen ordentlich gemobbt dafür. Im Verlauf der Zeit hat sich das aber bei den meisten gelegt. Ich habe offen über alles gesprochen und ständig erklärt. Jetzt komme ich bis auf wenige Ausnahmen, die kein Verständnis aufbringen können, mit allen super klar und arbeite, ohne crohnbedingte Fehltage.

Alles in allem also Folgendes zu deinen Fragen: Ich kann die Medizin als Fach wärmstens empfehlen. Es ist ein äußerst erfüllender Beruf. Und Mitte 20 ist überhaupt nichts zu spät, du würdest nicht mal auffallen, weil es viele gibt, die durch Wartesemster erst dann anfangen. Die Kombi der Studiengänge würde dir richtig gute Möglichkeiten bieten, vor allem dann, wenn du nicht ewig in einer Klinik am Patientenbett arbeiten möchtest ODER KANNST. Die Assistenzzeit ist für alle anstrengend, mit oder ohne Grunderkrankung. Es ist abhängig von der Schwere der Erkrankung, in wie weit du beeinträchtig bist in der Ausübung des Berufes. Aber man hat Einfluss, zum Beispiel gibt es geeignete und weniger geeignete Fachgebiete. Und wie du an meinem Beispiel siehst, gibt es immer einen Weg, selbst wenn es aussichtslos erscheint. Ich habe das einem wohlwollendem Chef und meinem Mann zu verdanken, der mich geschützt hat und mich ermutigt hat für individuelle Arbeitsbedingungen zu kämpfen unter denen ich meine Beruf ausüben kann ohne Gefahr zu laufen Berufsunfähig zu werden.

Wenn du davon träumst, tu es. Es nimmt nicht nur Kraft. Wie viele schwere Crohn-Phasen habe ich durchlebt, in denen mein Beruf mir Sinnhaftigkeit und Kraft gegeben hat, den Crohn durchzuhalten! Stell klar, was du leisten kannst und was nicht, ein offener Umgang von Anfang an ist sehr hilfreich für alle Beteiligten (Ich habe es im Bewerbungsgespräch gesagt). Sei gnädig mit dir selbst und deinem Körper, du brauchst ihn noch ein Leben lang. Ein Semester mehr oder ein knatschiger Kollege ist total egal. Es hilft niemandem,
insbesondere in Zeiten des Ärztemangels, wenn du mit 35 berufsunfähig wirst. Tu was dich glücklich macht und es wird sich ein Weg finden.

Liebe Grüße und viel Erfolg!
P.s. ist bisschen lang geworden, sorry ;-)

Crankie
hat sich häuslich eingerichtet
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Registriert: Fr 29. Mär 2019, 18:51

Re: Medizinstudium mit Colitis Ulcerosa

Beitrag von Crankie »

Hey Jule,
vielen Dank für deine Antwort ! Oh je, das klingt ja schon nach einer tragischen Geschichte, umso mehr freue ich mich für das du deinen Weg gefunden hast und jetzt ohne Beschwerden deiner Arbeit und Leidenschaft nachgehen kannst :) Zum Glück hatte ich bis jetzt erst einen schweren Schub und bin seitdem mit Entivyo recht gut eingestellt und habe keine Beschwerden mehr. Ich hoffe das bleibt so. Alles in allem klingst du aber ja recht glücklich mit deiner jetzigen Situation. Vielen Dank für deine Erfahrungen !

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