Immer die Unterstellung: Magersucht

Über die sonstigen medizinischen Probleme.
Tipi
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Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Tipi »

Hallo Ihr Lieben,
ich habe ein Problem, dass mich seit Jahren wirklich fertig macht und die Diagnosefindung absolut behindert.
Seit meiner frühesten Kindheit bin ich sehr stark untergewichtig. Bis ich mit 34 auf glutenfreie Ernährung umstellte, hatte ich täglich extreme Durchfälle, die sich auch mit Loperamid nur in der Häufigkeit etwas reduzieren ließen (5x Durchfall am Tag mit einer ganzen Packung Loperamid/Tag).
Es wurden unzählige Untersuchungen durchgeführt, alle immer nur mit halben Diagnosen.
Seit ich als Jugendliche einmal beim Arzt sagte, dass ich, wenn ich etwas vorhabe, an dem Tag vor dem Termin nichts essen könne, weil ich sonst nicht vom Klo komme, habe ich den Stempel MAGERSUCHT auf der Stirn.
Seitdem werfen mir alle Ärzte sofort an den Kopf, dass ich magersüchtig sei und all meine Probleme nur daher kämen. Ignoriert wird, dass ich mich schon immer viel zu dünn fand und sehr darunter leide. Dass ich von den wenigen Lebensmitteln, die ich ohne Probleme vertrage, ausreichend esse (nach zwei Jahren Ernährungstagebuch), keinen Sport treibe (außer mal ein bisschen spazieren zu gehen, um nicht total abzubauen), niemals nach dem Essen kotze usw. wird einfach nicht gehört.

Ich war sogar beim Psychologen, um zu checken, ob ich vielleicht nicht doch als Säugling schon magersüchtig geworden sein könnte :evil: , aber auch der sagte, dass ich die Kriterien nicht erfülle.....

Hat jemand von Euch ähnliche Probleme?

Lynkas
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Lynkas »

Ja. Oft ist es völlig schnuppe, das ich Aktenordner voll Untersuchungsergebnisse habe, die meine Erkrankung "beweisen".
Ich darf z.B. auch keine Psychotherapie machen (hätte ich gerne gemacht, weil ich sehr unter den sozialen Folgen meiner Erkrankung - die eben NICHT Magersucht ist - leide). Ich habe einen niedrigen BMI, der auch mit jahrelangen Bemühungen nicht über einen bestimmten Wert geht. Deswegen bin ich in Deutschland von der psychologischen Behandlung ausgeschlossen, denn dafür braucht man respektive Frau einen bestimmten BMI. Wurde mir so mitgeteilt. Ich fragte, was denn mit Menschen mit Krebserkrankung sei, die durchaus auch sehr viel Gewicht verloren haben können. Dürfen die dann auch keine psychologische Hilfe suchen? "Das sei was anderes", wurde mir gesagt, denn die "könnten geheilt werden", aber ich nicht. Ich fragte, ob Menschen mit einem zu hohen BMI auch keine Psychotherapie machen dürfen. Doch, die dürfen, nach oben gibt es theoretisch kein Limit. Ich fragte, was jetzt wäre, wenn ich z.B. eine "richtige" Depression bekomme oder Schizophrenie, also irgend eine "echte" psychiatrische Erkrankung: dann werde ich auch nicht behandelt? Wussten die Zuständigen auch nicht.
Also: das wird dir immer wieder passieren. Und die Ignoranz kennt da manchmal wirklich keine Grenzen.

Tipi
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Tipi »

Hallo Lynkas,
vielen Dank für deinen Beitrag. Lass' dir bitte nicht einreden, dass du keine Psychotherapie machen dürftest, weil dein BMI nicht stimmt... Mir haben damals auch einige Psychologen/Psychotherapeuten ins Gesicht gesagt, dass sie mich nicht behandeln wollen, weil ich mit meinem BMI (den ich schon mein ganzes Leben lang habe) ohnehin bald sterben würde (kein Witz :cry: ) und das würden sie nicht begleiten wollen....

ABER: Es gibt - unabhängig von dem BMI genügend Psychotherapeuten, die dich dennoch aufnehmen. Ich habe damals einen ganz tollen gefunden, der auch nochmals klar festgestellt hat, dass ich nicht magersüchtig bin. Helfen tut mir das aber leider trotzdem nicht :cry:

Also, bitte verliere nicht den Mut und begib' dich nochmal auf die Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Krankheiten sind immer scheiße und jeder geht damit anders um. Ich kann nur sagen: mir hat es bei der Akzeptanz meiner Krankheit sehr geholfen.

Viele Grüße,
Tipi

Jana123
Dauergast
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Jana123 »

Habt ihr schonmal hochkalorische Trinknahrung versucht? Habt ihr Mangelernährung, also Vitamin und Nährstoffmängel? Das sollte dringend überprüft werden.

Ich persönlich kenne die Unterstellung von wegen Magersucht/Bulimie insb. vor meiner CED-Diagnose. Selbst wo die Entzündungswerte enorm hoch waren und im Ultraschall bereits eine Entzündung gesehen wurde, wurde bspw. im Krankenhaus mein Essen kontrolliert. Dass ich mich nach dem Essen wegen der Tabletten immer übergeben musste, war natürlich nicht gerade förderlich. Als die Diagnose MC endlich stand und ich alle Tabletten iv bekommen habe, hat das Übergeben sofort aufgehört und zum Glück auch die Essens-Überwachung und auch der Magersuchtsverdacht.

Eine Psychotherapie ist definitiv nicht an einem bestimmten BMI geknüpft! Bei Magersucht nehmen viele Kliniken, nur bis zu einem bestimmten BMI Patienten auf, ich glaube die Grenze liegt bei 13 oder 15, weil sie sonst die intensive Überwachung nicht gewährleisten könnten, das stimmt. Aber es gibt auch "Spezialkliniken" für "Extremst-Magersüchtige" mit noch niedrigerem BMI. Lass dich da bitte nicht abwimmeln. Zumal dein BMI ja nicht dank Essstörung zustande gekommen ist.

Generell hilft es bestimmt, wenn ihr vom Psychologen ein Befundbrief habt, wo schwarz auf weiß steht, dass ihr nicht magersüchtig sein, denn ihr bei Ärzten vorzeigen könnt.

Lynkas
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Lynkas »

Jana123 hat geschrieben:
Sa 21. Aug 2021, 21:34
Habt ihr schonmal hochkalorische Trinknahrung versucht? Habt ihr Mangelernährung, also Vitamin und Nährstoffmängel? Das sollte dringend überprüft werden.
Aber klar habe ich Trinknahrung versucht. Wäre doch komisch, wenn nicht, oder? Und natürlich sind viele Blutuntersuchungen gelaufen und Blut wird mir so oder so immer sofort röhrchenweise abgezapft wie einer Milchkuh (Kasse zahlt das wohl sehr zuverlässig)

Jana123 hat geschrieben:
Sa 21. Aug 2021, 21:34
Eine Psychotherapie ist definitiv nicht an einem bestimmten BMI geknüpft!

Irrtum. Ich versuche, seit über drei Jahren in der gesamten Stadt einen Therapieplatzt zu finden. No way. Nicht immer wird der BMI als Grund angeführt, warum ich nicht genommen werde. Ich nennen ja nun auch nicht meinen BMI jedem. Aber ich sehe nicht besonders "proper" aus. Und ich habe die Bestätigung der Psychotherapeutenkammer, dass "so ein" BMI eine Therapie "ausschließt".
Jana123 hat geschrieben:
Sa 21. Aug 2021, 21:34
Generell hilft es bestimmt, wenn ihr vom Psychologen ein Befundbrief habt, wo schwarz auf weiß steht, dass ihr nicht magersüchtig sein, denn ihr bei Ärzten vorzeigen könnt.
Nein, generell kann jeder Arzt, jede Ärztin, jeder Psychologe und jede Psychologin mir einfach ins Gesicht sagen, dass meine mitgebrachten Papiere nicht interessieren: "Brauch ich nicht, lassen Sie mal stecken, ach, das ist ja so viel zu lesen"
Ich habe Unterlagen, in denen steht, dass mein "Zustand" nicht auf eine Essstörung zurück zu führen ist. Aber da stehen die Worte "Essstörung" oder "Magersucht" schwarz auf weiß, und dann werden die kleinen Wörtchen "nicht" oder "keine" überlesen. Habe ich mehrfach erlebt, bis hin zum Arztbrief, in dem dann als Diagnose "Essstörung" drinstand, weil man dieses Wort in meinem vorherigen Arztbrief "gesehen" hatte (konnte den inkorrekten Arztbrief Gott sei Dank noch ändern lassen)

Catze
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Catze »

Hi zusammen,
Das tut mir wahnsinnig leid, dass ihr so enttäuschende und abwertende Erfahrungen gemacht habt mit Ärzten und Psychologen.
Das zeigt leider, dass ein Teil sich nicht ausreichend die Zeit nimmt, nur sehr oberflächlich schaut und andererseits auch auf ihrer Seite viel Unwissenheit und Überforderung herrscht. Und dass halt auch Diagnosen künstliche Einteilungen sind, wo wir versuchen strikte Kategorien zu bilden. Was halt bei komplexen Erkrankungen an Grenzen stößt.

Und das kann dann in beide Richtungen schief gehen, wie man bei euch sieht: der eine kriegt eine ungerechtfertigte psychische Diagnose, die er nicht mehr los wird, und der andere kriegt keine Psychotherapie trotz Leid.

@Tipi: Vielleicht könnte es helfen, wenn Du nochmal durchschaust bei welchen Ärzten du Dich wohl fühlst und die auch hinsichtlich psychischen Erkrankungen ausreichend Kenntnis haben, und mit ihnen über das Problem zu sprechen, dass hier seit Jahren eine falsche Diagnose in Berichten weitergetragen wird. Und was man da tun kann.
Das passiert leider viel zu oft :/ vor allem Hausärzte haben leider teils wenig Ahnung von psychischen Erkrankungen, sind aber oft erster Ansprechpartner.
Wichtig wäre eventuell auch,dass Du in neuen Gesprächen/ Untersuchungen dies explizit ansprichst und ggf auch kontrollierst, dass die alte Diagnose nicht weitergetragen wird. Ist natürlich die Frage wie gut Du das beeinflussen kannst.

@Lynkas: es gibt an sich auch die Möglichkeit eine Psychotherapie als Begleitung bei körperlicher Erkrankung zu machen. ZB bei Krebs, aber auch bei unseren Erkrankungen zur Verarbeitung der interagierenden psychischen Belastung.
Falls andere psychische Erkrankungen wie Depression nicht ausreichend erfüllt sind, kann auch die F54 als Diagnose verwendet werden.
Diese ist behandlungsbedürftig und sollte von Psychotherapeuten gekannt werden.

Es scheint, dass Dein Gewicht deutlich unter dem Normalgewicht ist, sodass eine ambulante Behandlung aus gesundheitlichen Risiken -v.a. bei Essstörungen - nicht durchgeführt wird. Habe ich das richtig verstanden?
Das ist echt verzwickt, weil es ja von der Darmerkrankung herrührt. Vielleicht finden sich ja noch in einem etwas größeren Suchradius Therapeuten, die sich die Behandlung zutrauen (was ja genau ihre Aufgabe ist!!).
Selbst eine fortschreitende Erkrankung wäre kein Grund für eine Ablehnung einer Behandlung. In schweren Zeiten zu unterstützen, dafür sollte die Therapie da sein.
Oder sonst in einer psychsomatischen Behandlung/ Reha (ohne Schwerpunkt Essstörungen, denn das hast du nicht).
Darfst du denn auch andere Sachen im Alltag aufgrund des geringen BMI nicht?

Ich hoffe es finden sich bei Euch Lösungen und Wege!

Tipi
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Tipi »

Hallo Jana,
Habt ihr schonmal hochkalorische Trinknahrung versucht? Habt ihr Mangelernährung, also Vitamin und Nährstoffmängel? Das sollte dringend überprüft werden.
Trinknahrung habe ich natürlich schon versucht. Ohne Erfolg :( Aber: Meine Blutwerte sind (abgesehen von einem viel zu hohen Vitamin B12 Wert - Ursache unklar, ich nehme keine Vitamin-Präparate) alle top.
Ich esse schließlich auch. Mein Mann sagt sogar, mehr als andere. Ich habe auch lange Ernährungstagebuch geführt und müsste mit dem, was ich esse eigentlich definitiv zunehmen. Tue es aber nicht... :(
Zuletzt geändert von Tipi am Mo 23. Aug 2021, 14:40, insgesamt 1-mal geändert.

Tipi
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Tipi »

Hi Catze,
leider kann ich diese Diagnose ja nicht aus den alten Befunden herauslöschen....Ich habe einen Psychologen, der mich früher mal begleitet hat (wegen der ständigen Kämpfe mit den Ärzten). Er hat mir ein entsprechendes Schreiben ausgestellt. Aber wie Lynkas schon sagt: Diese Schreiben werden einfach ignoriert.

Ich nehme immer schon zu jedem Termin meinen Mann mit, der bestätigt, dass ich esse, dass ich nicht kotze und dass ich gerne nicht wie ein Skelett aussehen würde. Dann geht es immer, aber wenn ich im Anschluss den Befund in der Hand halte, steht die Schei.. wieder drauf :(

Erstaunlicherweise wurde allen Männern, denen ich bisher im Krankenhaus oder in der Reha begegnet bin und die einen noch mieseren BMI hatten als ich diese Krankheit nie unterstellt....Ganz ehrlich, da brauche ich kein Gender-Sternchen mehr: das ist gelebte Diskriminierung!

NewKidOnTheBlock
Dauergast
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von NewKidOnTheBlock »

Hallo Tipi,
hat man bei dir mal untersucht, warum B12 zu hoch ist? Oder wird es als irrelevant betrachtet?
Ich habe mal darüber nachgelesen, und es gibt sehr wohl krankhafte Ursachen. Und faktisch hat man dann einen B12 Mängel, obwohl es im Blutbild genau gegenteilig aussieht.
Mich würde das sehr interessieren. Mein B12 ist nämlich auch erhöht, ohne dass eine Ursache bekannt ist.
LG
NewKid

Tipi
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Re: Immer die Unterstellung: Magersucht

Beitrag von Tipi »

Hi NewKidOnTheBlock,

nein, leider wurde es nie weiter untersucht, sondern einfach ignoriert. Ich habe mehrfach darum gebeten, aber auch dort scheint man davon auszugehen, dass ich heimlich VitaminB12 nehme :evil: Ich habe selbst auch schon ein bisschen dazu recherchiert und denke auch, dass es einen triftigen Grund haben muss.
Ich esse zwar viele VitaminB12-haltige Lebensmittel, das allein kann aber einen so hohen Spiegel nicht erklären....
Ich habe seit kurzem mal einen Versuch mit einem neuen Gastroenterologen gewagt und habe Ende September mal einen Termin, bei dem ich das mit ihm klären möchte.
Gerne halte ich dich auf dem Laufenden, was dabei rauskommt ;)

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